Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 18. Mai 1878

Heidelberg 18 Mai | 1878.

Liebster Freund!

Zur glücklichen Rückkehr in die Heimath heiße ich Dich willkommen, und freue mich, daß Du Deinen Reisezweck wenigstens theilweise erreichtest, und zu Hause die Deinigen gesund angetroffen hast. Deine Anwesenheit in Heidelberg war mir sehr erfreulich, es waren mir die wenigen Stunden die wir zusammen verbrachten ein liebes Nachbild unserer gemeinsam verlebten Jahre, und ich beklagte nur, daß Du so rasch wieder gingest. Auch bei uns ist inzwischen der damals noch eintretende Frühling mit seiner ganzen Herrlichkeit zur Entfaltung gekommen, und scheint länger als sonst zu weilen, da wir ihn jetzt noch genießen, und bei aller Milde noch nicht unter der Sommerhitze leiden.

Am 1. Mai schrieb mir O. Hertwig || einen Brief, den ich Dir hiemit folgen lasse. Ich habe gestern geantwortet, freundlich zwar, aber mit dem offenen Ausdrucke meiner Ansicht über den anderen Brief, den ich verlegt habe, sonst hätte ich denselben jetzt wieder retour gehen lassen. Ich denke mir daß die Angelegenheit sich nunmehr, soweit immer möglich, beilegen läßt, und halte auch diesen Erfolge des von Dir eingeschlagenen Verfahrens für das völlig richtige. Zwei Punkte möchte ich Dir aber noch schreiben, als zu berücksichtigende: Erstlich scheint sich mir zu empfehlen, daß Du bei etwaiger Absolutions-Ertheilung nicht der eben doch bestehenden Störung des Verhältnisses gedenkst, und zweitens daß Du fernerhin vorsichtig sein möchtest. Letzteres wird freilich ohnehin der Fall sein, aber das erstere ist mir nicht so selbstverständlich. Bei der einmal kund gewordenen gemüthlichen Beschaffenheit der beiden Peccanten ist nicht zu erwarten, daß sie begreifen werden wie eine Erneuerung freundlicher Beziehungen || etwas anderes ist als Fortsetzung, und wie eben doch eine Narbe kein intactes Gewebe ist. Andererseits aber würden sie, wenn Du ihnen dieses ausdrücklich bemerkbar machtest, es falscher Deutung unterziehen, und es würde sich am Ende gar nichts geändert haben. Also überlege Dir das, und sei in deinen Aeußerungen vorsichtig, zurückhaltend. –

Bütschli hat seine Thätigkeit begonnen und scheint zu gefallen. Er hat jedenfalls vielen guten Willen, und wird sich vielleicht ganz erfreulich anreifen. Ich habe gute Beziehungen zu ihm, halte mich aber soviel als thunlich zurück, um erst zu beobachten. Ein zweites zoolog. Institut ist durch Koßmann hier gegründet worden!! Der Mann wird von Berlin aus protegirt, wenigstens werden ihm von dorther Zuhörer zugewiesen! Incredibile, nach den Erfahrungen die man doch dort gemacht haben könnte!

Das Semester hat hier ziemlich gut angelassen, und wieder gezeigt, wie unberechenbar die hiesigen Verhältnisse sind. Ich werde diesen Sommer ausschließlich mit meiner Anatomie beschäftigt sein, und || kann dann im nächsten Jahre wohl endlich an den Druck gehen. Wenn ich auch nichts Neues bringe als die Methode der Behandlung und die Disposition des Stoffes, so ist doch das wohl schon der Mühe werth.

Mit besten Grüßen von Haus zu Haus

stets Dein

treuer

C Gegenbaur

Den Hertwig’schen Brief bitte ich mir gelegentlich retour.

Brief Metadaten

ID
10032
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Baden
Datierung
18.05.1878
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,2 x 21,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10032
Zitiervorlage
Gegenbaur, Carl an Haeckel, Ernst; Heidelberg; 18.05.1878; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_10032