Adalbert Geheeb an Ernst Haeckel, Freiburg im Breisgau, 26. Juli 1899

Freiburg i. Breisgau

Göthestraße, 39, II,

den 26. Juli 1899.

Hochgeehrter liebster Herr Hofrath!

Es lag gewiß nicht in meiner Absicht, nach dem Empfang Ihres ungemein liebenswürdigen Briefes vom 28. Mai dieses Jahres u. der wenige Tage später aus Leipzig eingetroffenen 2. Lieferung Ihrer wundervollen „Kunstformen der Natur“ wieder so lange Zeit verstreichen zu lassen, bis ich Ihnen meinen tiefgefühlten Dank ausspreche, wie || dies leider bei der 1. Lieferung der Fall war – doch meine liebe Frau liegt schon seit 5 Wochen, an Ischias, zu Bette! Da verliert sich alle Lust an anderen Dingen, wenn man die gute Frau mit solch’ heftigen Nervenschmerzen kämpfen sieht! Und dazu die Küche vom Bette aus dirigiren zu müssen, da unser junges Dienstmädchen so gut wie Nichts versteht! Es geht ja nun besser, indem meine Frau seit Kurzem einige Stunden täglich Gehversuche macht, die noch recht schmerzhaft sind – unser Hausarzt macht uns die beste Hoffnung, daß in kurzer Zeit das an sich ganz ungefährliche Leiden gehoben sein wird; das Massiren, das seit 3 Wochen täglich in || Anwendung kommt, scheint noch am besten zu wirken –

Bitte, hochverehrter Herr Hofrath, nehmen Sie unsern verspäteten Dank, der aus vollem Herzen kommt, noch freundlich u. nachsichtsvoll auf u. seien Sie versichert, daß wir meine Frau u. ich, glücklich sind, auch die 2. Lieferung dieser einzigen „Kunstformen der Natur“ aus Ihrer so gütigen Hand empfangen zu haben. Man wird nimmer müde, diese Prachtsachen zu bewundern! –

Wie sehr es uns freut, daß Sie auch Moose in dieser Sammlung zur Darstellung bringen wollen, vermag ich Ihnen kaum zu sagen! Von den mir bekannten Werken || über fremdländische Arten (denn nur solche werden Sie meinen, da ja die Bryologia europaea von Bruch, Gümbel und Schimper sich in Jena befindet) kann ich folgende, der guten Abbildungen wegen, empfehlen:

1) W. J. Hooker, Musci exotici, containing figures and descriptions of new or little known foreign mosses.– 2 Bände, mit 176 colorirten Tafeln, in 8°. London, 1818–1820. –

2) Bryologia javanica seu Descriptio muscorum frondosorum Archipelagi indici iconibus || illustrate auctoribus F. Dozy et J. H. Molkenboer. Post mortem auctorum edentibus R. B. van den Bosch et C. M. van der Sande-Lacoste. – 2 Bände in 4°, mit 320 lithographischen Tafeln. – Amsterdam, 1855–1870.

Alle diese Abbildungen sowohl von Hooker wie von den holländischen Botanikern, – und selbst Schimper mit seinem großen Zeichentalent in „Bryologia europaea“ nicht ausgenommen, – entbehren, nach der Ansicht meiner lieben, kunstgeübten Frau, der guten Habitusbilder, – so vorzüglich auch die einzelnen Theile, in Vergrößerungen, ausgeführt sind. Es würde mich innig freuen, wenn Sie einmal selbst, hoch-||verehrter Herr Professor, unsere neuste Publikation in Augenschein nehmen wollten, um selbst zu beurtheilen, wie meine Frau die Habitusbilder der Moose zeichnet. Da ich nicht weiß, ob die Universitätsbibliothek zu Jena auf die „Bibliotheca botanica“ (Original-Abhandlungen aus dem Gesammtgebiete der Botanik. Herausgegeben von Prof. Dr. Chr. Luerssen in Königsberg in Preußen und Prof. Dr. B. Frank in Berlin), deren 44. Heft („Weitere Beiträge zur Moosflora von Neu-Guinea von Adalbert Geheeb Mit 21 Tafeln, Stuttgart, Erwin Nägele, 1898) unsere Abhandlung bildet, abonnirt hat, so wird || Ihnen unser lieber, guter Herr Hofrath Dr. Hermann Schäffer, welchem ich (da er Pathe ist meines 2. Sohnes Paul, den Sie ja öfters gesehen haben, u. dem er so viel Freundschaft erwies) zu seinem vorjährigen Geburtstage das Heft geschickt habe, mit größtem Vergnügen dasselbe auf beliebige Zeit überlassen. Nun ist aber gerade die größte Kunst meiner guten Frau, die Moose in Aquarell abzubilden, – und diese 17 Tafeln gemalter (Madeira- u. Teneriffa-) Moose über-||treffen weit jene Zeichnungen der oben genannten Neu-Guinea-Moose. Doch wird noch geraume Zeit verstreichen, bis dieselben zur Veröffentlichung gelangen werden. – So viel ich mir denke, werden Sie, liebster Herr Hofrath, die beabsichtigten Moostafeln farbig herstellen? Ich habe mir, so nebenbei, im Stillen ausgedacht, daß ich (an Ihrer Stelle) 3 Tafeln den Laubmoosen (M! In Hooker’s Musci exotici sind auch eine Anzahl sehr schöner Lebermoose, namentlich aus Neu-Seeland, abgebildet u. beschrieben) wiederum würde, || nämlich 2 Tafeln füra in- u. ausländische Arten, in natürlicher Größe, landschaftlich zusammengestellt – u. die 3. Tafel b für die Darstellung der vergrößerten Organe (Kapsel, Peristom, Blattformen u. deren Zellnetz, etc) bestimmt. Freilich weiß ich nicht, ob es Ihre Absicht ist, die europ. Arten für sich u. die Exotica ebenfalls separat darzustellen, – oder ob beliebig zusammengestellt? Ich habe mir z. B. die Sache so zurechtgelegt:

Die europ. Moostafel müßte, als schönsten Schmuck, die beiden großen nordischen Schirmmoose, Splachnum luteum u. Splachnum rubrum, etwa in der Mitte der Tafel, etwas im Hintergrund, zur Darstellung bringen, überragt, zur Linken von unserm „pelzge-||mützten Grenadier der Moose“, dem riesigen Polytrichum commune gerade in beginnender Fruchtreife, noch die große, seideglänzende goldhaarige Mütze tragend. Am Grunde dieses Polytrichum würde ich goldbraune Wedel des reizenden Federbuschmooses, Hypnum Crista-castrensis L. anbringenc, welches sich prächtig abheben wird von dem Dunkelgrün des Polytrichum-Rasens, durch seine regelmäßige, dichte Fiederung gleichsam die Farnform der Mooswelt ausdrückend. Unter dem Federmoose, also zwischen diesem u. dem gelben Schirmmoose, dürfte ein reichfruchten-||der Rasen des nordischen Tetraplodon mnioides (M! doch auch in Steiermark’s Alpen schön gefunden!) von guter Wirkung sein, in der rechten Fruchtreife die Farben schwarz – roth – gold tragend! – Rechts auf dem Bilde, auf einem kleinen Hügel, müßte das schöne Mnium undulatum angebracht sein, in den größten sowohl sterilen, als auch fruchtenden Formen u. auch in männlicher Pflanze, da solche den schönsten Palmentypus trägt. Unter dem Mnium, am Grunde des Hügels, dürfte Climacium dendroides, diese edelste, deutsche Moospalme, fruchtendes u. ein steriles Stämmchen, nicht fehlen, während im Vorder-||grunde Rhodobryum roseum (Bryum roseum Schreb.) gleichsam als Zwerg-Fächerpalme anzubringen wäre. Splachnum ampullaceum, unser deutsches „Flaschenmoos“, könnte sich zwischen den beiden großen nordischen Schirmmoosen vortheilhaft auszeichnen, als auch durch die eigenartige Form, als auch durch die rosenrothe bis hellpurpurrothe Farbe der zarten Apophyse. Endlich würde ich die wirkungsvolle Buxbaumia aphylla, gleichsam die Pilzform der Moose darstellend, rechts auf dem Hügel unter dem graziösen Mnium undulatum ihre dicken, unsymmetrischen Köpfchen hervorschauen lassen, am Grunde des Hügels einige Stengel purpurrothes Sphagnum medium Limpr. u. ganz im Vordergrund das in Be-||zug auf Blattentwickelung höchst wirkungsvolle Pterygophyllum lucens (Hookeria lucens Sm.) zur Darstellung bringen. –

Die Tafel fremdländischer Laubmoose würde ich mir etwa in folgender Weise componiren:

Im Mittelpunte der Tafel des stolze, wundervolle Sciadocladus Menziesii Hook. von Neu-Seeland, gleichsam etagenartig 4–5 Palmenkronen übereinander tragend, aus dem obersten die langgestielten Fruchtkapseln, aufrecht in die Höhe streben. Zur Linken das schönste Palmenmoos der Welt: Catharinaea dendroides Ehrh (Dendropholytrichum Hpe.) von Peru, während zur äußersten Rechten || 3 Dawsonien ihre stolzen Stengel erheben müßten:

1) Dawsonia grandis Schliephacke & Geheeb nov. spec.!!d vom Mt. Daymon auf British New-Guinea (das größte bis jetzt bekannte Moos der Erde, resp. mit den längsten Blättern u. größten Kapseln, auch dem höchsten Stengel, der fast 50 cm hoch ist!), 2) Dawsonia superba Grev. von Australien u. 3.) die kleinere, durch die große, roth-goldenhaarige Mütze höchst wirksame Dawsonia polytrichoides R.Br. von Australien! Zwischen diesen einzig eigenartigen Dawsonien-Riesen, welche den Habitus unsrer großen Polytrichum-Arten mit der seltsamen, unsymmetrischen Buxbaumia-Kapsel vereinigen, aber von beiden Gattungen durch das wunderbare || Peristom abweichen, das einem Pinsel, aus unzähligen, schneeweißen, seidenweichen Cilien gebildet gleicht, u. dem stolzen Sciadocladus in der Mitte der Tropenlandschaft, würde eine der zahlreichen Mniodendron- oder Hypnodendron-Arten von Neu-Seeland oder Tasmmanien sehr am Platze sein, etwa das prächtige Hypnodendron marginatum, – u. zur Linken das Sciadocladus – etwa Mniodendron comatum C Müll von Neu-Seeland, eine wundervolle Art, so recht eine Palme mit stachelig-schuppigem Stamm! Hie u. da müßten, an geeigneten Stellen, noch einige andere hervorragende Typen der Tropen-||flora angebracht sein, z. B. das höchst augezeichnete Cyathophorum mit 2erlei Blättern (nach Art der Selaginellen), dann Leucobryum longifolium Hpe. aus Brasilien, der stolze Fissidens nobilis Griff. aus Sumatra, u. s. w. Es würde die Tafel exotischer Laubmoose ca. 12 Arten, die der europäischen ebensoviele darstellen – also im Ganzen 24, – ob dies, für Ihren Zweck, nicht zu viele sind? Meine Frau erinnert mich daran, daß schon der Titel Ihrer wundervollen Publication „Kunstformen“ darauf hinweist, daß Sie auf bestimmte Formen, die z. B. für Kunstgewerbe von Bedeutung sind, rep. sein sollen, Ihr Augenmerk richten, da ließe sich wohl die Zahl || der von mir in Vorschlag gebrachten Arten bedeutend reduciren. Es kämen dann nur die wichtigsten Typen in Betracht z. B. aus Europa die Splachnum-, Climacium-, Mnium undulatum- u. Polytrichum-Form, aus den Tropen die Catharinaea-, Dawsonia-, Mniodendron-, Sciadocladus-, Hypopterygium- u. Cyathophorum-Form, so daß, Alles in Allem, höchstens 12 Species Laubmoose dazustellen wären. Dieselben gingen gut auf eine Tafel, während die vergrößerten Figuren der einzelnen Theile wieder eine Tafel füllen würden. – Ich habe mir das Vergnügen gemacht, die 2 Tafeln || zu skizziren, nur aus der Erinnerung, – u. möchte sie Ihnen gerne beilegen, selbst auf die Gefahr hin, ausgelacht zu werden, – denn ich bin kein Zeichner! Wenn Sie jedoch diese Skizzen zu sehen wünschten, würde ich sie gerne Ihnen senden. Was meinen Sie, wenn meine Frau, als Probe, eine solche Tafel in Aquarell ausführte? Ich glaube, die dürfte sich sehen lassen! Doch will sie selbst absolut Nichts davon wissen, d. h. sie ist fest überzeugt, daß Sie, liebster Herr Hofrath, es nimmer zulassen würden, daß jemand Anderes eine Tafel in dieser herr-||lichen Collection ausführen darf. – Ich denke mir nun, daß Sie Moose, wenn Sie solche in Ihre Sammlung aufnehmen, nur nach der Natur abbilden, nicht nach schon vorhandenen Abbildungen in den oben namhaft gemachten Monographien. Und da wollte ich nur das sagen: ich bin jederzeit bereit, alle Moose, die Sie darstellen wollen, Ihnen leihweise zu überlassen! Meine Specialität sind so zu sagen die polynesischen Arten, indem ich, veranlaßt durch Baron Ferdinand v. Müller, das Glück || gehabt habe, 17 Jahre lang (von 1880 an bis zu Ferdinand v. Müller’s Tode, 1896) alle für das Herbarium Melbourne dort eingegangenen Moose zu controlliren, resp. zu bestimmen u. zu bearbeiten. Jetzt, seit v. Müller’s Tode geht Alles nach England – aber noch liegen mindestens 500 Nr. Moose als „Rohmaterial“ bei mir, die ich mit meinem erfahrenen Freunde Viktor Ferdinand Brotherus in Helsingfors nach und nach bearbeite. – Auch europäische Formen sind in seltener Schönheit u. ungewöhnlichem Formenreichthum bei mir vertreten, – bitte, geniren Sie sich nicht u. nennen Sie mir Alles, was ich || Ihnen, von europ. wie exotischen Arten, in ausgewählt schönen Exemplaren senden soll. Jedes abzubildende Moos muß erst aufgeweicht werden, womöglich einen Tag naß im Keller liegen, damit es die ursprüngliche Gestalt, Blattrichtung etc wieder erlange, ehe es gemalt werden kann. Sie hätten nur nöthig, mir die Moose, nachdem Siee sie abgebildet, wieder zurück zusenden, ohne daß Sie jedoch nöthig haben, dieselben wieder so herzurichten, wie sie von mir präparirt waren, – das besorge ich gerne selbst.

– Apros! Lichenen! Haben Sie nicht auch solche im Auge, || z. B. die formenreichen Cladonien? Diese bald an Trompeten, Champagner-Gläser, Orgelpfeifen, Hirschgeweihe etc. erinnernden Formen, u., wenn in Frucht, mit herrlichen rothen und braunen Apothecien, sind doch dem großen Publikum so gut wie unbekannt! Nur könnte ich mit solchen Formen leider nicht dienen, aber in Jena sind ohne Zweifel in der von Herrn Dr. David Dietrich hinterlassenen Cryptogamensammlung f auch viele Cladonien. –

Bitte, lassen Sie mich gütigst hören, wann u. || wie ich Ihnen in Moosen dienen kann, – u. nehmen Sie ein herzliches „Glück auf“ zu den bevorstehenden Ferien, resp. zu einer schönen Reise! Wer, wie Sie, hochverehrter Herr Hofrath, so wundervolle Mikro-Zeichnungen etc. schafft, darf nicht über Schwäche der Augen klagen! Und überdies sind Sie ja eben erst in die „Jugend des Alters“ eingetreten! –

Möge der Wissenschaft u. Ihren zahllosen || Schülern unser unvergleichlicher Herr Prof. Häckel noch viele, viele Jahre in ungetrübter Schaffenskraft erhalten bleiben!

Dies ist der innigste Wunsch

Ihres

treu u. dankbar

ergebenen

A. Geheeb.

a eingef.: für; b gestr.: mit; c korr. aus: anbringend; d eingef.: nov. spec.!! e eingef.: Sie; f gestr.: sicher

Brief Metadaten

ID
955
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
26.07.1899
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
24
Umfang Blätter
12
Format
14,3 x 22,6 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 955
Zitiervorlage
Geheeb, Adalbert an Haeckel, Ernst; Freiburg im Breisgau; 26.07.1899; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_955