Verworn, Max

Max Verworn an Max Wolff, Göttingen, 12. Dezember 1909

Göttingen 12.XII.09.

Lieber Herr College!

Ich habe ein sehr schlechtes Gewissen, weil ich Ihnen auf Ihren liebenswürdigen Brief vom Juli noch immer nicht geantwortet habe, und nun sammeln Sie noch feurige Kohlen auf mein Haupt, indem Sie mich mit der Separatsendung, die ich vor einigen Tagen erhielt, erfreuten. Haben Sie vielen Dank für beides. Auch für Ihre ausserordentlich freundliche Einladung bei Ihnen zu wohnen danke ich Ihnen vielmals. Wenn ich trotzdem in einem Hotel logieren werde, so möchte || ich Sie bitten, das nicht als eine Ablehnung Ihrer Freundlichkeit aufzufassen, sondern vielmehr mit einer alten Gewohnheit zu entschuldigen, die ich im Laufe der Jahre auf meinen vielen Reisen angenommen habe und von der ich mich schwer zu trennen vermag. Auf alle Fälle aber freue ich mich im März einmal wieder mit Ihnen zusammenzutreffen und wenn es nicht unverschämt ist, melde ich mich bei Ihnen und Ihrer Gattin einmal zum Abend- oder Mittagessen an, um mit Ihnen gemüthlich zu plaudern und alte Jenenser Erinnerungen aufzufrischen. Ja, die alten Jenenser Erinnerungen! Sie werden einem jetzt immer werthvoller, || nachdem sich Jena in den letzten 10 Jahren rapide zu seinem Nachtheil verändert hat. Ich kann das um so mehr empfinden, als ich alle Ferien seit den 9 Jahren, die ich nun von Jena fort bin, Jena einen Besuch abgestattet habe. Jena hat seinen alten gemüthlichen und behaglichen Charakter fast völlig eingebüsst. Es hat jetzt die unangenehmen Seiten einer mittelgrossen Industriestadt in seinem Strassenbilde entfaltet. Die letzte hässliche Phase in der Entwicklung des Jenenser Lebens war der widerwärtige Streit zwischen Plate und Haeckel. Ich bin entrüstet gewesen im allerhöchsten Grade, ja ich muss sagen, dass ich für meine Empörung keine Worte habe über das Benehmen von Plate, nachdem ich bei meinem letzten Besuch in Jena während des || Octobers aus authentichen Quellen alle Einzelheiten dieses ekelhaften Kampfes erfahren habe. Sie werden ja wohl auch orientiert sein. Aber die Wirklichkeit übertrifft noch weit alles, was man aus Erzählungen gehört hat. Für mich ist Plate erledigt.

Pütter hat sich über Ihre Arbeit sehr gefreut, denn Ihre interessanten Beobachtungen sind natürlich Wasser auf seine Mühle und ich gönne ihm das, nachdem er verschiedentlich so angegriffen worden ist. Für mich ist es garkeine Frage, dass die Wasserthiere organische gelöste Nahrung aufnehmen. Biedermann will nicht dran glauben.

Nun aber beste Glückwünsche zum Fest und zum neuen Jahr und herzliche Grüsse von

Ihrem alten

Max Verworn.

 

Briefdaten

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.12.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9452
ID
9452