Ida Altmann-Bronn an Ernst Haeckel, Rombach, 14. Februar 1916
IDA ALTMANN-BRONN
ROMBACH I. LOTHR.
14. Februar 1916
Hochverehrtester Herr Geheimrat!
Unter dem berühmten Burgfrieden, der sich mir darstellt als Bestimmung, dass Schafe und Rehe die Wölfe nicht anblöken dürfen, scheint mir’s, dass ich das Schreiben völlig verlernt habe. Es ist mir ein gar niederdrückendes Bewusstsein, dass die bei uns Herrschenden sich einbilden, es sei für Deutschlands Sicherheit erforderlich, dass jede Zeile, die geschrieben wird, von ihren Zensoren durchstöbert werde.
Der Gedanke, dass ein solcher in der Fülle seiner Verständnislosigkeit vor Ihnen lesen wird, was ich Ihnen sagen möchte über die Stunden der Erbauung und Erhebung, die uns Ihr Ewigkeitsbuch beschert hat, lähmt mir die Hand, die es niederschreiben sollte. ||
Gestatten Sie mir daher nur, verehrungswürdigster Meister, Ihnen unsern innigen Dank auszusprechen für die hohe Freude, die Sie uns durch Ihre köstliche Gabe bereitet haben. Mir persönlich ist sie gleichsam zur Neubeleberin geworden. Wenn der Meister seit sechzig Jahren unermüdlich am Werke ist, die Menschheit zur Vernunft, zum vernunftgemässen Denken und Handeln zu bilden, noch fast ein Vierteljahrhundert, nachdem die Altenburger Rede jeden hätte belehren können, der nur belehrbar war, die gegenwärtigen Greuel möglich sind, das heisst’s für jeden Jünger, die äusserste Kraftanstrengung zu wagen, wie tief auch der Abgrund von Stumpfsinn und Eigensucht ringsum sein mag. So mache ich mich hier von neuem ans Werk der Menschenbildung, wo ich || den Boden schon als völlig unbestellbar aufgegeben hatte.
Hierfür noch ganz besonders heissen Dank, und in Verbindung damit zu Ihrem Geburtstage, diesem wahrhaften Weltfesttage, den herzlichen Wunsch, dass Ihre Gesundheit und Kraft noch lange in voller Frische Stand halten mögen, auf dass Sie nach dem Ende der Greuel dieser Zeit das Neuland aus dem Blutmeer emporsteigen, die Blüte der von Ihnen gestreuten Aussaat sich entfalten und die köstliche Frucht daraus reifen sehen möchten.
In treuer Gefolgschaft
Ihre dankbare Jüngerin
Ida Altmann-Bronn.