Ida Altmann-Bronn an Ernst Haeckel, Rombach, 20. Januar 1915
Rombach, den 20. Januar 1915
Hochverehrter Herr Geheimrat!
Wie jede Ihrer kostbaren Sendungen, erfüllte mich auch diejenige, die Sie am 9. dieses Monats an mich zu richten die Güte hatten, mit hohem Glücksgefühl, und ich sage Ihnen innigsten, heißen Dank dafür. Aber auch etwas sehr betrübendes ergab sich für mich aus Ihrem teuern Schreiben: Ihre Sendung mit der Broschüre, „Gott-Natur“, von der Sie schreiben, daß sie mir bereits zugegangen sei, hat mich nicht erreicht. Wäre es vielleicht möglich, festzustellen, wann die Absendung erfolgte? ich würde dann bei der Post Nachforschungen über den Verbleib versuchen.
Wir hatten uns diese Ihre Schrift noch nicht kommen lassen, da wir den freilich schon mehrfach nicht eingehaltenen Beschluß gefaßt haben, neue Bücher erst zu bestellen, wenn wir die vorher beschafften durchgelesen hätten, und da mein Mann noch den ersten Band „Monistische Bausteine“ nicht ganz kennt, ich noch manche Artikel des zu Ihrem achtzigsten Geburtstage erschienen Unesma-Buches zu lesen habe, hatten wir mit der Bestellung von „Gott-Natur“ einstweilen gewartet. So kam || es, daß ich von Ihrer Antwort an Sir Oliver Lodge nichts wußte.
Mit großer Begeisterung las ich Ihren mir bisher unbekannt gewesenen Aufsatz „Weltkrieg und Naturgeschichte“, und dabei hatte ich die Freude zu erkennen, daß ich wohl das Recht habe, mich als des verehrtesten Meisters bescheidene Jüngerin zu fühlen, gerade weil ich nicht blind auf jedes Wort des Meisters schwöre, sondern selbst prüfe und für mich entscheide. So stimme ich Ihrer in Ihrem herrlichen Aufsatze ausgesprochenen Ansicht über die Kolonien nicht unbedingt bei. Mir erscheint es als eine für die deutsche Kraft und Tüchtigkeit bessere, mindestens viel näher liegende Aufgabe, Deutschlands Boden in allen seinen Teilen angemessen zu bebauen, seine anbauunfähigen und auch der Gesundheit unzuträglichen Sumpf- Moor- und Sandgebiete zu verbessern, seine Flußläufe zu regulieren, durch Kanäle schöne Verbindungsstraßen für den Verkehr von Ost und West im lieben Vaterlande zu schaffen, als daß deutscher Fleiß, deutscher Geist, deutsches Blut und deutsches Gut in Sandwüsten und lehmigen Fieberlöchern vergeudet würden, wobei deren arme farbige bodenständige Bevölkerung mit den gewaltsamen Mitteln der weltenweit überlegenen deutschen Technik ausgerottet werden. ||
Gerade als Anhänger der natürlichen Entwickelungslehre, meine ich, müssen wir dies ebenso wie aus ethischen Gründen bedauern, gehen wir doch auch an der Tatsache der Ausrottung gewisser Jagdtiere und Vogelarten nicht gleichgültig vorüber. – Überdies bin ich überzeugt, daß Deutschland im höchsten Sinne so groß, so stark ist, daß es der Methoden der Räuberstaaten und Krämervölker nicht bedarf, um sich die Welt zu erobern. Es wäre bereits unblutig geschehen, wenn unsere sogenannten Diplomaten und Politiker auch nur annähernd unseren wissenschaftlichen Heroen unseren überwältigend großartigen Helden der Technik an die Seite zu stellen wären.
Wir würden auf diesem Wege viel, viel weiter sein, wenn wir nicht an der asiatischen Christlichkeit kränkelten, die zu betonen man leider jetzt ganz besonders für wohlanständig hält, trotzdem das sehr „christliche“ England und das „rechtgläubige“ Rußland uns doch endlich hätten erkennen lassen können, daß nicht darin die Wurzeln sittlicher Kraft und Größe liegen, und daß die Erziehung unseres Volkes auf anderer Grundlage zu ruhen hätte.
Meine Arbeit „Rückkehr zur Natur?“, von der ich Ihnen im September bei Übersendung des eigenartigen portugiesischen Pflänzchens schrieb, daß ich sie den Prager Gesinnungsfreunden auf ihre Bitte für ihr 1915er Jahrbuch geschickt hatte, befindet || sich in den Händer der k. k. Polizei, die mit allen Papieren des dortigen Freidenkerbundes auch meine Handschrift beschlagnahmt hat. – So findet sich, Goethesch gesprochen, immer ein Wie, das, was ich schreibe, vor der Berührung mit der Druckerschwärze und der breiten Öffentlichkeit zu bewahren. Deshalb mache ich nach der Richtung auch kaum noch einen Versuch, und so gestatte ich mir, hier ein kleines Gedicht handschriftlich beizufügen, das jüngst anläßlich einer beruflichen Reise meines Mannes, die uns an den Rhein führte, entstand.
Wenn ich in meiner heutigen Schreibseligkeit zu wortreich geworden bin, so bitte ich die Kühnheit gütigst mit dem Seligkeitszustande entschuldigen zu wollen, in den mich des verehrungswürdigsten Meisters Sendung versetzt hat.
In steter Dankbarkeit und Treue
Ihre
Ida Altmann-Bronn
[Beilage]
Rheingruß
Von Ida Altmann-Bronn
I
Sei mir gegrüßt, du mein deutscher Rhein,
Sagenumwoben, umkränzt mit Wein.
Stömst aus des Gotthard steinernem Tor
Nicht zwar auf Deutschlands Boden hervor,
Deutsch aber ist des Altschweizers Blut,
Deutsch ist des Bodensees läuternde Flut,
Deutsch ist das Lied, das der Schweizer singt,
Das durch die Alpen, die Täler klingt.
Dich aber treibt es nach Deutschland hinein,
Deutsch willst Du ganz, deutsch allein willst Du sein,
Stürmst drum mit knabenhaft wilder Gewalt,
Stürzest, daß brausend es widerhallt,
Stürzest in göttlicher Schönheit Macht
Abwärts, schneeschäumende, blitzende Pracht.
Drunten bei Basel noch hält Dich nichts auf,
Jünglingshaft, sehnsuchstark hastet Dein Lauf,
Deutschland, Dein Liebchen, stark, lieblich und groß,
Beut Dir den keuschen, den bräutlichen Schoß.
Nun erst magst hemmen den Stürmenden Lauf,
Deutschland, Dein Liebchen, nun nimmt Dich auf.
II
Burgen auf Burgen, auf sonnigen Höh’n,
Weinlaubumkränzt, ohne Maßen schön,
Rheinland, Du reiches du herrliches Land, ||
Deutsch bist und bleibst Du, des Rheinstromes Strand.
Ob auch begehrt Dich der Nachbaren Schar,
Einst dich zu rauben unmöglich nicht war –
Jetzt ist’s unmöglich für allezeit,
Seit Deutschland von innerer Zwietracht befreit.
Einiges Deutschland, dem Rheine vermählt,
Läßt nun den starken nicht, der es erwählt;
Mögen die Nachbarn mit grimmigem Mut
Ringen und wagen ihr kostbarstes Blut,
Alldeutschlands Söhne kämpfen vereint,
Siegen drum sicher ob jeglichem Feind.
III
Durch Kampf zum Sieg
Grimmig entbrannte der furchtbare Kampf:
Felder zertreten von Rossegestampf,
Städte zertrümmert von Mörsergewalt!
Zischen, Geheule und Donnern erschallt,
Von der Geschosse wild grausem Gedröhn,
Klagend begleitet von Sterbegestöhn.
Tausende färben den Erdboden rot,
Die um das Vaterland leiden den Tod,
Fallen als Helden, wohl Schar auf Schar,
Jüngling, Mann, Greis auch im silbernen Haar,
Fallen für Deutschland, sich selber zur Ehr,
Muster der Treue, der Freiheit Gewähr,
Vorbild uns andern, die, nicht zwar im Feld, ||
Doch in den Dienst uns der Heimat gestellt.
Wollen, gleich ihnen, trotz Leides und Not
Deutschland Dich schützen, und ging’s drum zum Tod!
Schutz Dir von Memel zum Rhein, übern Rhein,
Schutz deutschem Geist, deutschem Recht, deutschem Sein!
Deutsch sein heißt treu sein für Männer und Frau’n,
Burgen dem Deutschtum in Herzen bau’n
Deutschtum als Menschentums heiliger Hort
Wachse und blühe an jeglichem Ort,
Wachse und wirke in Waffen und Wehr,
Wirk’ in der wackeren Kämpfer Heer,
Stähle den Starken den eisernen Mut,
Lodernde Flamme in unserem Blut,
Wende den grausen, den grimmigen Krieg,
Daß mit dem Deutschtum das Menschentum sieg’.
Ida Altmann-Bronn.