Altmann-Bronn, Ida

Ida Altmann-Bronn an Ernst Haeckel, Rombach, 8. September 1914

Rombach, Lothringen. 8.9.1914

Gartenstrasse 17I

Hochverehrter Herr Professor!

Großen innigen Dank für die gütige Zusendung Ihres schönen, kraftvollen Aufsatzes über Englands Blutschuld am gegenwärtigen Kriege. So ganz mir aus der Seele geschrieben ist Ihr Urteil über das offizielle England, daß es mir eine wahre Wohltat war, was Sie da mit solcher Bestimmtheit aussprachen. Seit dem Raubüberfall der „frommen“ Engländer auf ihre südafrikanischen Brüder in Christo traue ich England ausnahmslos jede Schande zu.

Mit großer Andacht lauschten die bei uns einquartierten Soldaten der Vorlesung Ihres herrlichen Aufsatzes. Eine Abschrift davon sandte ich der Metzer Zeitung ein. Ob der Abdruck erfolgt ist, weiß ich infolge des verlangsamten Postverkehrs noch nicht. Das durch Ihre persönliche Zusendung mir doppelt wertvolle Blatt wollte ich natürlich nicht aus den Händen geben.

Ihre gütige Sendung erfreute mich um so mehr, da ich Ihnen noch immer meinen Dank nicht ausgesprochen hatte für die vorangegangene, die mich geradezu beglückt hatte: || Ihren kostbaren Brief, der die Aufsätze „Psyche“ und „Jubiläum der Menschenkunde“ und Ihre beiden wundervollen Photographien begleitete, die mit vierzig und achtzig Jahren.

Ich hatte mit dem Schreiben warten wollen, bis ich Ihnen einige kleine Arbeiten von mir im Druck mitsenden könnte, Versuche, mich als des verehrungswürdigsten Meisters rechte Jüngerin zu erweisen. Die deutschen Freidenker Nordböhmens hatten mich um Mitarbeit an ihrem geplanten Freidenker-Jahrbuch gebeten, und ich hatte ihnen unter anderem die Niederschrift eines von mir noch in Berlin gehaltenen Vortrages „Rückkehr zur Natur?“ eingeschickt, darin der Versuch gemacht worden war, zu beweisen, daß es keine Rückkehr zur Natur gebe, weil, wo und wie man auch sei, man stets innerhalb der Natur sei, außerhalb welcher nichts sein könne, daß demnach auch die Erscheinungen des Menschenlebens, alle sozialen Erscheinungen naturwissenschaftlich zu untersuchen seien.

Seither habe ich aber nichts von den böhmischen Freunden gehört – möglich, daß dort der Weltkrieg seine schwarzen Schatten bereits im voraus ausgebreitet und die beabsichtigte Kulturarbeit unterbrochen hat. ||

Dann hatte ich, da der Monistenbund doch praktische Arbeit tun will, und ich meinte, solches Wirken müßte bei der Jugend beginnen, Herrn Geheimrat Ostwald einige Erzählungen und Dichtungen von mir als Probestücke eingesandt und ihm vorgeschlagen, eine monistische Jugendschrift als Beilage des Monistischen Jahrhunderts oder selbständig herauszugeben. Darauf erhielt ich bei Beginn des Krieges von Dr. Boerner aus Wien den Bescheid, er sei dabei, eine Zusammenstellung klassischer Märchen im monistischen Sinne zu bewerkstelligen. – So war von dem, was ich mir hatte erlauben wollen, Ihnen zu überreichen, nichts zustande gekommen, und dann brach der Krieg aus. –

Von diesem darf man ja nichts schreiben, wenn man einige Sicherheit haben will, daß der Brief befördert werde. Seltsam mutet es aber an, wenn man durch smaragden blitzende Wiesen, ganz übersät von zahllosen zarten Herbstzeitlosen, zwischen wahren Obstwäldern einherschreitet unter fortwährendem Donnern und Dröhnen der furchtbaren Geschosse, die aus Meilenentfernungen herübergrollen. – Arbeit giebt es natürlich auch genug für die dem Feuer entgegenziehenden Brüder wie für solche, deren Blut schon auf || fremder Erde geflossen ist, und die hier Heilung ihrer Wunder erwarten sollen.

Im Hinblick auf Ihre alte Liebe zur Pflanzenwelt erlaube ich mir, Ihnen ein zierliches Pflänzchen mitzusenden, das aus dem Garten von Monserrat in Cintra stammt. Dort überreichte mir die portugiesische Gesinnungsfreundin, bei der ich Ihre Werke teils in französischer, teils in italienischer Übersetzung sah, das beifolgende Korkkörbchen mit einem Pflänzchen wie das jetzt darin befindliche, eines der Kinder von jenem, das nun ganz groß ist und rings behangen mit langen Fühlern gleichenden Fäden, daran sich immer neue Blätterbüschel und -Rosetten bilden. Hoffentlich übersteht es die Reise zur Kriegszeit gut und bringt den Gruß von Volk zu Volk, die gemeinsam in edlen Werken der Wissenschaft und Civilisation schaffen, denen Ihr erhabenes Lebenswerk galt.

In dankbarster Verehrung

Ihre getreue Jüngerin

Ida Altmann-Bronn.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.09.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8780
ID
8780