Ida Altmann an Ernst Haeckel, Berlin, 20. Januar 1907
20.1.1907a
Hochverehrter Herr Professor!
Teuerster Meister!
Sie werden mich hoffentlich nicht für ungebührlich kühn halten, daß ich mir schon wieder erlaube, Sie mit einer großen Bitte zu belästigen. Es geschieht ja um der guten Sache willen. Wie Sie aus den beiliegenden Drucksachen ersehen, geht (wieder wie meist bei allen freiheitlich fortschrittlichen Bewegungen) von Paris die Anregung aus, durch Rede und Schrift eine Kundgebung zu veranstalten für friedlich rechtliche Regelung der Angelegenheiten der Völker, wie dies in Kulturländern für die Angelegenheiten der Individuen der Fall ist.
In Frankreich trat sofort Pressensé, in Belgien unser Freund Furnemont in das Komitee ein. Ich versprach den Freunden vom internationalen Freidenkerbunde, für Deutschland mitzuhelfen durch einen Vortrag in der Berliner freireligiösen Gemeinde, durch Erörterung des Gedankens in den gewerkschaftlichen Arbeitervereinen und, wenn möglich, auch durch die Presse.
Wegen der Auflösung unseres Reichstages verschoben die Freunde die Kundgebung vom || 3. Februar auf den 12. Mai. Wenn ich nun bei Bekanntgabe dieser Rücksichtnahme auf unsere Verhältnisse den Blättern eine Meinungsäußerung des einzigen Großen in unserem Vaterlande, der auch auf diesen Gebieten Deutschlands Ehre rettet, wie er sie auf dem Felde der wissenschaftlichen Arbeit so hoch gehoben, übermitteln könnte, dann würde dies sicher von hoher Bedeutung und weitgehender Wirkung sein. – Wenn Sie, hochverehrter Herr Professor, die große Güte hätten, mir einige Zeilen über den Gegenstand für unsere Volksgenossen zu schreiben, so würde ich Ihr Friedenswort den Zeitungen und Zeitschriften übermitteln, welche geeignet und würdig sind, es ihren Lesern zu verkünden. Schön wäre es, wenn diese Kundgebung noch vor Ende dieses Monats erfolgen könnte, gleichzeitig mit der Mitteilung von der Verschiebung der geplanten internationalen Friedensmanifestation.
Besonders bedeutungsvoll wäre es, wenn Sie erlauben würden, daß Ihr allen hier Mitwirkenden über alles teurer Name gleichfalls in die Liste der Befürworter dieses Fortschrittes der Gesittung gesetzt werden dürfte.
Mit ehrerbietigem Gruße
Ihre allerbescheidenste Schülerin
Ida Altmann.
Berlin-Wilmersdorf.
Pfalzburger Straße 53.
a korr. aus: 1906