Ida Altmann an Ernst Haeckel, Königsberg, 7. Juni 1905
Königsberg (Preussen), d. 7.6.1905
Knochenstrasse 16
Hochverehrter Herr Professor!
Teurer Meister!
Während Ihrer jüngsten Anwesenheit in Berlin fand ich leider keine Gelegenheit, Ihnen persönlich die ehrerbietigsten Grüße und die Hoffnung des internationalen Freidenkertums zum Ausdruck zu bringen. Am Schlusse der Vorträge fürchtete ich, Sie zu belästigen, wenn ich Sie anspräche, und dem Kommers konnte ich leider nicht beiwohnen, da ich für diesen Abend einem Arbeiterverein einen Vortrag versprochen hatte und das gegebene Wort nicht brechen wollte. Deshalb muß ich Sie jetzt schriftlich bitten, uns gütigst wissen zu lassen, ob wir hoffen dürfen, daß Sie den Freidenkern aller Länder, die sich vom 4. bis zum 7. September in Paris versammeln, die Ehre und das Glück Ihrer Anwesenheit zuteil werden lassen.
Das Freidenkertum Frankreichs erhofft || eine machtvolle Wirkung zugunsten seines Werkes der endgültigen Loslösung des Staates von der Kirche von dem Erscheinen der Geistesheroen aller Länder auf dem diesjährigen Kongresse, und mit dem Freidenkertume würde es Frankreichs wissenschaftliche Welt als einen der schönsten Triumphe betrachten, Sie, dem die Wissenschaft der Welt so Großes verdankt, dort begrüßen zu dürfen.
Wie wohlthuend und befreiend würde gerade jetzt auch eine solche internationale Betätigung der Größten unserer Länder wirken – nach gewissen Vorkommnissen der letzten Zeit, die sicher nicht dazu angetan waren, draußen die Liebe für Deutschland zu stärken.
Herr Professor Sergi hat sein Erscheinen für bestimmt in Aussicht gestellt, aus England ist ein bedeutender Astronom angemeldet, den Namen hat man mir freilich anzugeben vergessen; Spanien und Belgien werden ebenfalls durch hochangesehene Gelehrte glänzend vertreten sein.
Darf ich nun, hochgeehrter, teurer || Herr Professor, unseren Freunden in Paris die frohe Botschaft künden, daß wir auf Ihr Kommen hoffen können? Ihre gütige Antwort erbitte ich nach der oben angegebenen Adresse, da ich für etwa zehn Tage hier im Nordostwinkel Deutschlands verweile.
Mit ehrerbietigsten Grüßen
Ida Altmann,
Schriftführerin der Berliner freireligiösen Gemeinde und des internationalen Freidenkerbundes.