Bleek, Auguste

Auguste Bleek an Charlotte Haeckel, Bonn, 1. Oktober 1870

Bonn den 1t Oktober 70.

Nachmittag

Meine liebe treue Lotte

Vor einer Stunde habe ich Deinen Brief erhalten. Ja wohl hast Du recht, der Tod hat einen besonders schmerzlichen Stachel in einem Fall wie der bei uns eingetretene, wo man ihn für eine Erlösung eine Hülfe für die der Verstorbenen am nächsten stehenden halten muß. Der liebe Gott weiß doch allein, wie die Entwickelungen im innern Menschenleben sich vollziehen, uns a mitwandernden Menschen ist es wohl oft verborgen, wo die Fäden sind, die das Menschenherz mit dem Quell alles Lebens und aller Liebe, mit Gott, verbinden. Aber daß unser inneres Auge das nicht erkennen konnte, daß wir kein Mitwandern mit der durch die nächsten Verwandtschaft uns nahe gestellten hatten, das ist sehr schmerzlich. Ich habe mir es wohl oft gesagt, daß ich mehr Liebe gegen die Schwester hätte üben können, aber wenn ich versuchte ihr nahe zu treten, wie noch im vorigen Winter, so wollte es niemals gelingen. Sehr, sehr leid thun mir die Kinder alle. An Ernst habe ich mich wieder recht gefreut während seines Hierseins, das ja durch den Krieg so sehr verkürzt wurde. Er brachte mir damals im Juli die Nachricht, von dem besseren Befinden Karolinchens und wie b Dr. || Lehr eine Reise hierher in Emma Nitzsch Begleitung in Aussicht gestellt habe, der Krieg hat das gehindert und ich dachte heute gerade daran, ob es vielleicht noch jetzt könnte ausgeführt werden. Etwas erregter ist das Leben hier, dem Kriegsschauplatz etwas näher gestellt, wohl noch immer; doch es ist natürlich ganz anders als in der ersten Zeit. Wir haben jetzt wunderschönes Wetter und hält das an, so möchte ein Aufenthalt in unserer schönen Gegend, wo wir ohne mit viel Menschen in Berührung zu kommen, kleinere Ausflüge machen könnten, ihr vielleicht wohlthuen. Sprich das in meinem Namen Bertha und Julius aus, damit sie wissen daß es hier geht; natürlich muß der Arzt die Entscheidung geben. Ich erwarte in einigen Tagen Mariechen mit dem lieben Bübchen; aber das hindert nicht; ich werde es doch einrichten können. Wie wir neulich durch Bertha Pine hörten sollte Marie T. zu einem anderen Arzt gebracht werden. Der arme Julius hat auch viel Schweres durch zu machen und hat schon so viel Arbeit. Ernst N. hat etwas sehr Weiches im Gemüth, ich fürchte die Todesnachricht wird ihn recht erschüttern, wenn er auch für die Mutter selbst den Tod als eine Erlösung ansehen wird. Es istc vielleicht sehr gut, daß er im Felde in so voller Thätigkeit ist, und wird es ihn freuen, daß die Mutter sich noch über das eiserne Kreuz freuen konnte. – Seit ich im Winter bei Elisens Erkranken Frau || Grumow bei ihr sah, freute ich mich immer dankbar, daß sie diese hatte, die mir sehr treu und gut für sie zu sorgen schien.

Da Elise einmahl den Verkehr mit dem Geschwistern offenbar nicht wollte, so war es eine Beruhigung, daß jemand, mit so freundlicher Gesinnung ihr nahe war und Ernst hat mir noch hier versichert, daß sie sehr viel für die Mutter thue. Hat Julius noch Elise selbst gesehen, nachdem er mit Frau Grumow gesprochen? Es ist wohl Mittwoch od. Donnerstag ein erneuter Schlaganfall gekommen davor der Zustand in derselben Art, wie im Winter? Mir ist es lieb, daß Bertha nicht da war; die Arme hat so viel Trübes und Schweres durchgemacht. Ich wollte Ihr Lieben hättet auch schon den Montagd überwunden.

Dein Ernst ist gestern Morgen über Köln und Düsseldorf von hier abgereist und wird heute Abend in Potsdam ankommen. Es thut ihm wohl sich hier unter Freunden und Fachgenossen zu bewegen, da blieb er etwas länger und wir freuten uns recht seines Hierseins. Karl reist ja bald nach dem Rhein; ich hoffe er kommt mit seinem Sohn hierher und habe ich ihn durch Ernst darum bitten lassen. Ich habe auch rechtes Verlangen nach Dir, nach Euch Allen und habe wohl manchmal überlegt wie es möglich zu machen zu Euch zu kommen. Doch ist es vieler Beziehung unthunlich und muß ich es aufgeben. Wenn ich nur öf-||ter zum Schreiben käme, aber das wird mir oft bitter sauer und bringe ich kaum die überseeischen Briefe zusammen. Heute Abend muß noch ein Brief nach Leones fort; die Kinder sind schon dafür thätig und ich muß auch noch etwas schreiben. Grüße Deinen lieben Mann, Deine Kinder und Enkel und besonders auch Julius und Bertha von ganzem Herzen wie alle Verwandtene. Zu dem kleinen Jungen in Potsdam habe ich Dir wohl noch gar nicht Glück gewünscht; ich freue mich, daß es dort gut geht.

Sei Du auf innigste ans Herz gedrückt meine alte liebe treue Lotte!

von

Deiner auch alten Schwester

Auguste Bleek.

a gestr.: ist; b gestr.: der Plan verkürzen; c korr. aus: wird; d gest.: morgenden Tag; eingef.: Montag; e Text weiter am linken Seitenrand: wie alle Verwandten

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.10.1870
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7012
ID
7012