Auguste Bleek an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Bonn, 4. September 1866
Bonn den 4t Septbr. 66.
Lieber Häckel und meine liebe Lotte!
Schon so oft habe ich den Wunsch gehabt Euch, Ihr beiden Theuren! für Eure lieben Briefe zu danken, in denen Ihr durch Eure herzliche Theilnahme an dem Verluste, den wir Alle durch dena Tod unseres lieben Heinrichs erlitten, meinem Herzen und uns Allen so wohl gethan habt. Ja es ist ein harter schwerer Schlag, der uns Alle getroffen, besonders aber für unser liebes Gustchen und für Philipp, die mit dem lieben Verstorbenenb in der weiten Ferne ein so hübsches häusliches Leben bildeten. Schon der Verlust der Kinder, besonders des so lieblich entwickelten Knaben der so recht den Mittelpunkt ihres Lebens bildete, war sehr schwer und nun gar Heinrichs Tod, von dem Philipp mir schrieb „ich habe in ihm den treuesten Freund, Schwager und Compagnon verloren. Gustchen geht ihren schweren Lebensweg tapfer in dem festen Glauben, das aus derc Vaterhand Gottes uns nur kommen kann, was zu unserm Frieden dient, wie bitter es uns auch dünkt. Sie ist voll Dank für das kurze Glück, das ihr zu Theil geworden, in welchem sie die höchsten Güter des Lebens hienieden besessen hat; die Güter || meiner Liebe, die in der Liebe zu Gott gegründet, unvergänglich ist. „Denkt nicht, daß ich unglücklich bin, schreibt sie“ aber tief betrübt. Und Philipp sagt im letzten Briefe – ich kann mich der Thränen oft nicht erwähren, wenn ich sie so einsam da sitzen sehe. Sie hatte im ersten Augenblick wohl den Gedanken zurück zu kehren; aber sie hatte auch bald das Gefühl, daß Philipp dann nicht nur ihre Pflege sondern auch alles häusliche Leben entbehren würde und so stellte sie die Entscheidung d ihrer Schwiegermutter und mir anheim. Ich war bei der lieben Mutter in Bremen und wir sind beide der Meinung, daß sie fürs erste dort bleiben muß, so gern wir sie auch wieder sähen, so gern ich sie hier bei mir hätte. Aber drüben hat sie einen gegebenen Beruf, sowohl für ihren Bruder zu sorgen, als mit demselben das Unternehmen fort zu führen, das ihr Mann mit Philipp zusammen mit so viel Liebe und gutem Erfolg begonnen hat. Ihre Berichte geben Zeugniß daß sie dabei einer großen Anzahl von Menschen Liebe, Hülfe und Freundlichkeit erweisen kann und eine solche Thätigkeit wird mehr und mehr ihrem Leben wieder eine Befriedigung geben. Am liebsten wäre ich nun selbst zu ihr geeilt, aber das geht nicht; || ich bin zu alt zu einem solchen Unternehmen und habe auch noch meinen Platz hier bei meinen Töchtern und andern Kinder. Statt meiner reist nun Hermann zu ihnen, die Geschwister zu besuchen. Gustchen regte den Gedanken an; Hermann war gern bereit dazu; er hat Ostern das letzte Examen gemacht und würde nun doch noch wohl Jahre auf eine Stelle warten müssen; so ist es gerade eine geeignete Zeit für ihn. Gustchen schrieb, wenn er hinkäme würde er auch seine theologische Thätigkeit nicht ganz aufzugeben haben, da sie schon eine kleine Gemeinde bildeten; 3 Schweizer Familien mit 10 Kinder wohnen schon jetzt als Aufseher über verschiedene Heerden auf ihrer Estanzia und weit und breit giebt es keinen evangelischen Prediger. Deßhalb ist denn auch Hermann nach eingeholter Erlaubniß des Oberkirchenrathes noch hier ordinirt worden, am 12ten August nach dem Frühgottesdienst wurde die feierliche Handlung in unserer Kirche vorgenommen, da unser Pastor Walters als Assessor der Synode damit beauftragt. Ich danke Gott, daß ich diese köstliche Feier erlebt habe, an die die kleine Gemeinde mit rührender Theilnahme sich betheiligte. Pastor Krabb und unser Johannes legten mit die segnende Hand auf sein Haupt und gaben ihm köstliche Bibelsprüche || auf seinen Berufsweg mit. Theodor war auch hier – seine Marie ist bei mir mit ihren Kindern, da sie leider nach den Wochen einen Schaden behalten hat, wofür sie einen hiesigen berühmten Arzt braucht. So hatte ich die europäischen Kinder alle noch mal um mich versammelt. Am 17t v. M. verließ uns Hermann von Hedwig bis Bremen begleitet, wo er sich auf einige Tage bei Post’s auf dem Landgute ausgeruht e und die noch nöthigen Einrichtungen für seine Reise getroffen hat, wobei die lieben Post’s ihm sehr hülfsbereit waren. Hier war die letzte Zeit sehr unruhig und arbeitsvoll gewesen, so freute ich mich, daß das Schiff ein Paar Tage später fortging und er erst am 25t an Bord gehen mußte. Ich habe noch einen Brief vom 27t von ihm erhalten, den er dem Bootsmann mit gegeben, welcher das Schiff bis in See gebracht hat. Bis dahin schien sich alles günstig zu gestalten. Er fährt mit demselben Capitain, mit dem die Geschwister die Reise gemacht haben, der ein ernstlicher Mann und uns befreundet ist und um diese Gelegenheit zu benutzen mußte alles sehr rasch für ihn eingerichtet werden. Eine f angenehme Zugabe war, daß er ein theol. Reisestipendium 140 rlg das ihm für eine Reise nach England be-||stimmt war, auch für diese Reise benutzen konnte. Leider haben wir seit mehreren Tagen immer Westwind und ist es wohl möglich, daß das Schiff dadurch in der Nordsee aufgehalten wird. Das Schiff nimmt noch in Cadix noch in eine Salzladung ein und kann ich von dort noch Briefe erhalten. Die Trennung von dem braven Jungen ist mir recht schwer geworden, aber das Gefühl überwiegt den Geschwistern drüben eine Freude zu bereiten. Wir werden ihn in seiner selbstlosen herzlichen Weise für uns Alle, sehr vermissen. Ich werde mich sehr freuen, wenn ich nur erst von seiner glücklichen Ankunft dort höre; h es ist sehr die Frage ob ich die Nachricht bis Ende dieses Jahres erhalte. Hedwig ist noch auf dem Steinsberg, wird aber wohl in 8 Tagen zurück kehren. So ist Anna mit Marie allein bei mir; natürlich nimmt die Sorge für diese und die beiden lieben Kinder uns sehr in Anspruch. Auch waren wir von allem Erlebten und dem was sich daran knüpfte recht übermüdet und daher nicht viel fähig zum schreiben. Dazu kamen dann auch mancherlei Besuche und andere Störungen, so konnte ich die für Ernst begonnenen Zeilen erst heute beendigeni und auch nur dieses in großer Eile schreiben. Ich hoffe es || trifft Euch Lieben noch in Jena. Wie wäre es, wenn Ihr uns noch ein Bischen besuchtet; Ernst könnte Euch ja zum Beginn seiner Reise herbringen. Das wäre sehr hübsch. Julius hat an Marie zum 29t (ihrem Geburtstag) geschrieben, er dürfte „die Mutter bald auf Noorderney abzuholenj und diese schreibt, da Julius auf einige Tage nach Cleve müßte, so hoffte sie diese Zeit benutzen zu können, um Marie hier zu besuchen?
Daß Bertha noch auf 14 Tage nach Herzburg ist, weißt Du wohl; hätte sie nur besseres Wetter dort! Gertrud schreibt mir, daß Minchen Cockerill nach schwerem Leiden am 1t d. M. sanft eingeschlafen ist. Wie viel habe ich in diesen letzten Monaten an Dich, lieber Häckel! denken müssen, bei den großartigen Ereignisse, die unsrem deutschen Vaterlande einer längst gehoffte Entwickelung zuführen.
Gott wolle helfen und Fürst und Volk vor Uebermuth bewahren.
Doch lebt wohl; Ihr lieben theuren Geschwister, mit herzlicher Liebe denkt Euer
Eure
alte Schwester.
Auguste Bleek
Marie und Anna senden 1000 Grüße.
a eingef.: den; b eingef.: mit dem lieben Verstorbenen; c eingef.: der; d gestr.: in; e gestr.: hat; f gestr.: Angabe; g eingef.: 140 rl; h gestr.: das be; i gestr.: beantworten; eingef.: beendigen; j korr. aus: abholen