Anna Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Landsberg an der Warthe,
15. September 1863, mit Nachschrift von Karl Haeckel
Landsberg 25. 9. 63
Endlich finde ich hier in Landsberg den ersten freien Moment, liebe Eltern, Euch herzlich zu danken für die lieben Briefe, zum Geburtstag und das schöne Geschenk, auf das ich mich sehr freue.
Wir haben acht sehr genussreiche Tage in Stettin verlebt, aber so voller Trouble, daß wir uns schließlich nach Ruhe sehnten. Ernst wird Euch davon berichten und darum greife ich lieber weiter zurück und erzähle Euch von den letzten Tagen in Heringsdorf. Von Tag zu Tag hofften wir auf beßeres Wetter, allein es blieb den September über zwischen 8 und 9° und dabei regnete es täglich, so daß die weiteren Touren alle zu Wasser wurden.
Trotzdem riskirten wir eine solche an meinem Geburtstage und marschirten mit Kieperts, d.h. Mutter und Frau Kiepert fuhren, nachdem Fangel und von da | durch den herrlichen Buchwald nach dem Langenberg. Leider that uns die Sonne nicht den Gefallen, schön unterzugehen, aber desto schöner war der Rückweg an dem wild bewegten Meere. Briefe waren von allen Seiten eingelaufen und mir am Morgen unter vielen Blumen sehr hübsche Sachen beschert worden; die eigentliche Feier war schon Tags vorher, am Sonntag gewesen, weil Bertha Montag früh mit den Kindern abreiste. Montag Mittag aß Bertha Passow bei uns, die wir gern nach dem Fangel mitgenommen hätten, allein wegen ihres Hustens riskirte sie es nicht. Sie ist auch, wie Ihr gehört haben werdet, mit uns zusammen nach Stettin gereist. Das Haff war auf dieser Fahrt so unruhig, dass die Arme beinah seekrank geworden wäre. In Stettin empfing uns der älteste Sohn der Frau Rechtsanwalt | Briest am Bollwerk und wir wurden aufs freundlichste von der ganzen Familie aufgenommen, mit deren Töchtern ich noch aus früheren Jahren bekannt bin. Doch ich will Ernst nicht vorgreifen, der Euch ausführlich von Stettin erzählen wollte. Das muß ich nur hinzufügen, was seine Bescheidenheit ihm wohl nicht erlaubt, daß der liebe Mann sehr stattlich auf der Tribüne aussah und sich viele Freunde durch den Vortrag erworben hat. An Feinden fehlte es natürlich auch nicht und zu denen gehörte auch ein Dr. Solger aus Frankfurt a/M, Geologe, welcher gestern in der Schlußsitzung eine glanzvolle Gegenrede hielt. Sie war aber so voller wissenschaftlicher Unrichtigkeiten und Unwahrheiten, daß Ernst, kochend vor Wuth und Ärger auf die Tribüne sprang und ihm Einiges entgegnete. Virchow gab seinen Worten noch mehr Nach-|druck indem er aus der Versammlung: „Hört hört!“ rief. Heute früh10½ Uhr haben wir Stettin verlassen und hatten unterwegs sehr von der Hitze zu leiden, so daß ich etwas müde um 4½ Uhr hier an kam. Karl, Hermine und die Kinder sehen alle sehr wohl aus und freuten sich mit uns über unser Kommen. Wir kommen eben von einem Spaziergang mit ihnen zurück, der uns einen beßeren Eindruck von der Lage Landsbergs gegeben hat, als wir nach den Briefen erwarten durften. Zu meiner Freude höre ich hier, daß es Hedwig beßer geht; grüßt sie sowie alle Verwandte herzlich und dankt Helene und Heinrich vorläufig für ihre Briefe und theilt ihnen von uns mit. Wenn Ihr noch keine Wohnung habt, seht Euch doch nach der Parterre-Wohnung neben Beirichs um, die im August leer war. In herzlicher Liebe Eure dankbare Tochter.
[Nachschrift von Karl Haeckel]
Besten Dank für die wiederholte Nachweisung der Dewitz‘schen Wohnung. Wir wußten es schon; aber die Wohnung ist jenseits der Warthe, unweit des Ettel‘schen Gartens, also schon deshalb nichts für uns.
Euer Karl.
H: EHA Jena, A 44369, egh. Brief m. U., 1 Dbl., 4 S., 22,1 x 14,3 cm, Besitzstempel.