Charlotte Haeckel an Agnes Haeckel, Potsdam, 6./7. Februar 1874

Potsdam 6/2 74.

Liebe Agnes!

Herzlich danke ich Dir für Deinen lieben Brief; durch den Du mir eine große Freude gemacht, da er mir ja Gutes von meinen lieben Jenaschen Kindern sagt. Möge Gott Euch ferner in seinen Schutz nehmen, und Euch viel Freude an den Kindern erleben lassen. –

Recht leid ist es mir, daß Euere Hausgenossen krank sind; und || nun ihr Schmerz noch durch einen neuen Trauerfall vermehrt wird, denn wenn ich nicht irre ist der Direktor Bellermann, dessen Tod ich heute in der Zeitung sah, ein Bruder der alten Frau Schulz.

Daß Ernst so sehr mit Arbeit überhäuft ist, thut mir leid, und nun noch das Decanat hat nehmen müssen, was er ja immer nicht gerne hat. Ich mag ihm daher auch jetzt nicht schreiben, und bitte Dicha || daher, in seinen Pappieren nach zu sehn, ob unter den Prioritäts Obligationen der Rheinischen Eisenbahn Nummer 9337 und Nummer 9339 ist; diese stehen auf den Coupons, die ich vom Banque erhalten habe; unter denen, die ich an Ernst gegeben habe, sind sie nicht, hat Ernst diese Nummern nicht, dann bitte ich es mir gleich zu schreiben, damit es kann beim Banque eingetauscht werden. Und nun komme ich noch mit einer Anfrage an || Dich: kannst Du mir irgend etwas angeben, womit ich Ernst an seinem Geburtstag eine kleine Freude machen kann?; ich mögte es so gerne, und weiß nicht was ihm lieb sein könnte, bitte sage es mir aber bald.

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Gestern Abend war ich zu müde, diese Zeilen an Dich, liebe Agnes zu beendigen, und heute den ganzen Tag kam ich nicht zum Schreiben ich hatte immer zu thun, da ich Montag Wäsche habe, mußte || heute alles vorbereitet werden. Am vorigen Montag entschloß ich mich schnell nach Berlin zu fahren da vorher so viel Regenwetter war und ich hin mußte um beim Banque alles in Ordnung zu bringen, und ich gerne Bertha wiedersehn wollte, der es doch auch etwas besser geht. Sage Ernst daß nun seine Geldangelegenheiten alle geordnet sind, und nach meiner Berechnung hat er noch bei mir gut: 3 Thaler 23 ¼ sg.

Recht grausig sind jetzt die Zeitungen zu lesen || ausser den vielen Trauerfällen ließt man so viel Mord und Raubgeschichten. Dann fast täglich findet man Selbstmörder angezeigt. Da ich meist so still allein sitze muß ich viel darüber nachdenken, und kann nur den Grund darin finden, daß die Menschen zu leichtsinnig leben und sich soviele unglücklich dadurch machen, daß sie in der Gier reich zu werden sich auf übertriebene Specula-||tionen einlassen, oder sich gar zur Untreue verleiten zu lassen. Verunglücken ihre Unternehmen und gerathen sie ins Unglück, dann sind sie zu feige die Schande ihres Thuns zu tragen, und glauben es abzumachen wenn sie sich das Leben nehmen. Drum thut es Noth, daß die Mütter frühzeitig in den Kindern den Keim legen zum Glauben an Gott und ein höheresb ewiges Leben; das ist die beßte Schutzwehr gegen Ueberschätzung des Irdischen. Die Liebe zu Gott allein giebt den Menschen auch Standhaftigkeit die Leiden zu ertragen. || Grüsse mir meinen lieben Ernst viel tausend mal, und Deinem kleinen Kleeblat gieb einen Kuß von mir. Bitte sage mir ob ich für Lisbet ein größeres Jäckchen stricken soll ? ? –

Wenn Du mir, was passendes für Ernst weißt zu sagen, dann bitte theile es mir bald mit.

Gott sei mit Euch allen und behaltet lieb

Euere

alte Mutter Lotte

Deiner lieben Mutter und Clara den herzlichsten Gruß! –

a gestr.: Dich; b eingef.: höheres

Brief Metadaten

ID
36567
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
07.02.1874
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
12,8 x 20,9 cm; 14,0 x 22,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36567
Zitiervorlage
Haeckel, Charlotte an Haeckel, Agnes; Potsdam; 07.02.1874; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_36567