Berlin 23/3 72.
Liebe Agnes!
Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief, der mich erfreut hat durch die gute Nachricht von Euerem Befinden; wie lieb ist es mir auch, daß unser Ernst nun bald die Geschäfte loos ist, die ihm so lästig sind, und nun wieder sich seinen Lieblings Beschäftigungen widmen kann.
Als ich aus seinem Brief sahe, daß er später zu mir zu kommen denkt, als er erst willens war, wurde bei mir der Wunsch so lebhaft, ob Du nicht mit den [Kindern] || ihn begleiten könntest, da ich mich so nach Euch, Lieben, sehne; doch bei ruhiger Besinnung muß ich mir sagen, daß es jetzt nicht vernünftig wäre: die Jahreszeit ist noch zu rau, dann ist gewiß meine neue Häuslichkeit noch nicht so weit, daß ich a Euch irgend behaglich beherbergen könnte, auch ist es wohl nöthig, daß mein 16jähriges Mädchen etwas kochen lernt. Uebrigens habe ich dafür guten Muth, sie ist willig und anstellig, wird sich gewiß gut einrichten, sie ist || von ihrer Mutter zu Fleiß, Ordnung und Reinlichkeit angehalten, das sind gute Grundlagen, darauf läßt sich weiter bauen; jetzt ist sie mir beim Packen recht behülflich, und für ihre Jugend recht umsichtig, da wird es schon werden. Vorgestern war meine Schwester Bertha den ganzen Tag hier, und half mir; das Porcellan und Glas packen; dabei aber so geschäftig, daß mir kaum noch die nöthigsten Sachen zum Gebrauch bleiben. Ueberhaupt ist bei mir jetzt die Zerstörung Jerusalems. ||
Heute kam unser Student her, und wird bis Dinstag bleiben; ich freue mich, b ihn hier zu haben, und habe auch gerne für ihn noch etwas auspacken müssen. – Ich wünsche, daß Montag Deine Gesellschaft nach Wunsch vorüber gehn möge. Hoffentlich sehet Ihr Euch jetzt ernstlich nach einer größeren Wohnung um, es wäre für Dich doch eine Erleichterung, wenn bei Gesellschaften mehr Raum wäre. – Daß es Deiner lieben Mutter und Clara gut geht freut mich; grüsse beide herzlich von Deiner
alten Mutter Lotte.
a gestr.: es; b gestr.: über