Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rom, 6. Juni 1889
Roma 6 Jun 89
Herzlieber Haeckel
Das liebliche Pfingstfest glaubt ich schon sicher in Thüringer kühlem Waldesgrün feiern zu können. Aber es sollte anders kommen. Wo werde ichs jetzt begehn? ‒ Unter wogender aufgeregter Volksmenge unter heißem Sonnenbrande auf ‒ dem Campo Fiore a zu Ehren des edlen Märtyrers der Glaubensfreiheit dessen b Erzbild hinfortc an der Stelle ragen wird da einst der Flammentod seinen achtjährigen Kerkerqualen ein Ende machte. Und vor Allem hast Du es bewirkt, daß auch ich wohl daselbst eine Stunde braten muß.
Denke Dir, ich bin doch nach Neapel gereist, so sehr || ich dem früher abgeneigt war. Aber mich überkam plötzlich ein lebendiges Verlangen nach Pompeji und unserm lieben Capri und so heftig daß ich wirklich nicht widerstehen konnte. Und nicht bereut habe ichs einmal wieder auf 10 Tage am üppigen Busen Parthenopes das Leben in vollen Zügen geschlürft zu haben. ‒ Als ich aber wieder nach Rom kam, war Giordano Bruno das d Hauptgespräch und Dein Name drang von jeder Mauer auf mich ein mahnend und fordernd unter den Statuen e so unzähliger Heiligen und Märtyrer des Glaubens auch endlich einmal einem Solchen des f Denkens gleiche Ehre zu erzeigen. ‒ Da war nun kein Wanken und Schwanken mehr bei mir
ich mußte bis zu diesem Feste bleiben so sehr michs auch nach Norden und den lieben herrlichen deutschen Wäldern zog, denn || wär ich so kurz vorher abgereist und hätte gewagt Dir unter die Augen zu treten, Du hättest mich ja die Treppe hinunter geschmissen. ‒ Jedoch offen gestanden auch die Neugier und ‒ die Lust am Ulk spielt Etwas mit. Denke Dir,
was g gestern ein Mitcapitoliner h aus dem Munde eines höheren Geistlichen vernommen hat: der ganze römische Klerus hat vor am Enthüllungstage auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes die Kirchen zu schließen und die Stadt zu verlassen so daß es dann ganz sein würde wie im Epos des bekannten Marschendichters
Keiner Orgel Töne wogen
Keine Messe wird mehr gesungen
Der letzte Priester ist fortgezogen.
Ob es wirklich dazu kommt ist indeß noch ungewiß. Andrerseits heißt es auch: i in allen Kirchen Roms solle eine Art von Bußandacht ob der großen Frevelthat bewerkstelligt werden. || Jeder aber glaubt festj, daß es bei dem eigentlichen Enthüllungsact nicht so ganz glatt und ruhig abgehen wird. An Gegendemonstrationen wird es sicher nicht fehlen und die Italiener
haben bekanntlich kein Froschblut. Darum werden sich Hof und Regierung auch streng fern halten, was die Stadtverwaltung thun wird weiß man noch nicht recht abhold ist sie der Sache nicht und hat es durch die Erlaubniß der Denkmalserrichtung auf jenem Platze auch ja bewiesen. Mich soll übrigens ganz und gar nicht wundern plötzlich Dein blondes Haupt aus der Menge vor mir auftauchen zu sehn. Geschieht es nicht so freue ich mich doppelt Dir mündlichen Bericht vom Tage erstatten zu können. ‒ Gleich Tags darauf reise ich ab. Zuerst nach Montenero (bei Livorno) der Besitzung eines alten Freundes Car. Cavaletti Schriftsteller und begeisterter Freund und Kenner deutscher Literatur aber leider Feind derk Einheitl Italiens. Zwei Tage dann in Florenz, 1 in Verona, 14 im lieben München und dann über Jena, Weimar und Gotha der norddeutschen Heimat zu auf deren frische Seeluft in dieser sich wöchentlich merklich steigernden Hitze ich mich doppelt freue. ‒
So leb wohl mein Herzliebster, m grüße herzlich die Deinen und bleib auch ferner was Du warst und bist
Deinem getreuen
H. Allmers
a gestr.: dem; b gestr.: Bild; c gestr: von; eingef.: hinfort; d gestr.: ste; e gestr.: und Bild; f gestr.: Geda; g gestr.: mein; h gestr.: engel; i gestr.: ein; j gestr.: sicher; eingef.: fest; k korr. aus: des; l gestr.: geeinig; eingef.: Einheit; m gestr.: und