Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Berlin, 16. Januar 1886

Berlin. Mittelstr.26/1.

16/1 86.

Herzlieber Haeckel

Hoffentlich wirst Du es doch nicht übel genommen haben, daß ich Dir bis jetzt nur kartographisch für Deine mich so sehr erfreuende Sendung gedankt habe. Theils war meine Übersiedelung nach Berlinmit ihrer Unruhe die Ursache, theils wollte ich auch warten bis meine eignen bestellten Photographie Bildniße fertig wären um Gleiches mit Gleichem erwiedern zu können. ||

Endlich sind sie da und ich säume nicht länger, mag Dir auch keine doppelte Freude damit bereitet werden, wie mir ward. – Dein Antlitz ist auf dem Bilde ganz und gar wie ich’s stets im Geiste habe; das Deines wackren Bruders dagegen ist entweder nicht ganz gelungen oder mir mit der Zeit entfremdet. So will icha denn, sobald die Tage hinreichend länger geworden sind, einmal hinüber fahren um es zu vergleichen. –

Ja ich bin wirklich wieder einmal auf ein paar Monate in der Metropole unsres famosen deutschen Reiches und fast mit jedem neuen Gange den ich aus meiner stillen Straße unternehme || überrascht sie mich durch neue Schönheiten, so daß ich gern glauben will, was b mir Professor Weissder eben Paris gesehen hatte, versicherte: nämlich, daß, abgesehn vom Verkehr, Treiben und Gewühl an baulicher Herrlichkeit Berlin durchaus nicht mehr dagegenc zurückstehe. – Ja überall ists neu geworden, nur meine hiesigen Freunde sind zu meiner Freude die alten geblieben oder gar zu meinem Bedauern – geradezu gealtert. Aber das Leben der Großstadt muß ja aufreibend und alternd wirken, während mich das ruhige Landleben in meiner liebend grünen Marschenheimat Gottlob so frisch erhalten hat, daß ich aufs Lebendigste und Freudigste aufzunehmen und zu genießen vermag, was das Dasein mir nur || Schönes und Herrliches bietet. Und dazu ist meine Unabhängigkeit erst recht eine vollendete geworden, da ich nämlich seit einem Vierteljahre einem lieben wackren Neffen, der mein Erbe werden soll und schon jetzt in meinem Hause waltet, auch den allerletzten Rest meiner Sorgen und Geschäfte übertragen habe. Ich werde am 11 Februar 66 Jahre, dann habe ich nur noch 4 Jährchen bis zum Greisenalter. Ich will sie ausbeuten und darin das Leben »“m rosigen Lichte“ schlürfen in tiefen vollen Zügen, wo und wie ichs nur vermag bis ich nach durchmessenere Wanderung aus stiller leidenschaftloser Höhe und mit ruhigem Erinnerungsgenuß darauf hernieder blicken f werde. – Bis zum April denke ich hier zu bleiben, dann auf eine Woche meine lieben Menschen in Dresden zu besuchen und von dort über Thüringendann allmählich der Heimat zuzusteuern. In herzlicher Freude g auf die Tage von JenaDich und Dein liebes Haus grüßend verbleibe ich bis dahin

Dein treuer

H. Allmers.

a korr. aus: ichs; b gestr.: jüngst; c eingef.: dagegen; d eingef.: lieben; e gestr.: vollendeter; eingef.: durchmessener; f gestr.: ver; g gestr.: Dich

Brief Metadaten

ID
8690
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
16.01.1886
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 22,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8690
Zitiervorlage
Allmers, Hermann an Haeckel, Ernst; Berlin; 16.01.1886; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8690