Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 4. Oktober 1884
Rechtenfleth
4 Octbr 84
Vor 25 Jahren: Ankunft in Syrakus.
Herzlieber Haeckel
Mit Deinem Briefe hast Du mir eine größere Freude bereitet, als Du ahnen mochtest. Von dem vielen Guten, Erfreulichen und Intressanten war es vor Allem was Du mir über unseren lieben Walter schriebst, a und seine Zuneigung zu mir, was mir in tiefster Seele wohl that, da, wie ich Dir ja schon schrieb, auch ich den lieben freundlichen und treuherzigen Jungen in den letzten || schönen Tagen von Jena sehr in mein Herz geschlossen habe. Ob wahres Künstlertalent in ihm steckt darüber habe ich noch kein Urtheil aber es würde mich glücklich machen, wenn das der Fall wäre, ich würde es zu einer Lebensaufgabe machen anregend rathend und leitend ihm stets zur Seite zu stehen wie und wo es mir nur möglich b indem ich damit beginnen werde die für ihn passendste Akademie ausfindig zu machen, welche dochc wohl die Münchener sein wird. Grüße ihn herzlich von mir. –
Auch mir that es leid daß d Du durch Lahmheit und Arbeit so geplagt wurdest doch haben wir ja doch manch herzerquickendes Gespräch gehabt und die Tage in der Villa Medusa zähle ich zu den schönsten die mir der Sommer brachte. ||
Gern erfülle ich Deinen Wunsch nach dem Jubiläumsgedichte e obwohl ich genau weiß daß Du es genommen und beigesteckt hast. Freilich schienst Du in jenem Augenblicke so zerstreut, daß es mirf schon damals g auffiel. –
In letzter Zeit ist eine größere Ballade entstanden die ich zum Besten rechne was ich auf diesem Gebiete geschaffen habe einen ebenso intressanten wie rührenden Stoff behandelnd der sich wunderbar schnell mir aufdrang. Sieh ist ganz im alten i einfachen Volkston gehalten, etwa wie er in den alten Balladen im „Wunderhorn“ (von Arnim und Brentano) angeschlagen
ist. ||
Fürchte darum aber nicht, daß ich in eine Arnim-Brentanoschej Verschwommenheit gerathen bin. Realistisch ist mein Gedicht von Anfang bis zu Ende, k und führt einen so intressanten Conflict vor, wie ich ihn wenigstens in unserer Lyrik noch nicht gefunden habe. –
Daß Du Fitgers „Hexe“ l von den Meiningern gesehn freut mich sehr, daß Dir das Drama aber allzu scizzenhaft vorkam wundert mich, da ich m beim Lesen mich gerade an seiner feinen Durchbildung erbaut habe und ich n auch nicht die kleinste Lücke in der Entwicklung entdeckte.
Kleinere Ausflüge abgerechnet habe ich seit meiner Thüringer Reise meine Marschenheimat nicht verlassen aber manch lieben herzerfreuenden Besuch gehabt, namentlich in dieser Ferienzeit von frischen fröhlichen Studenten, meistens Nachbarn oder Söhne von alten lieben Freunden die dann Wahl„neffen“ sind und mich Onkel nennen. Und unter solchen wird hoffentlich in der Folge auch oft Euer Walter sein. – Wie gern hab ich solche Jugend um mich. Wie erhält mich das selbst jung und frisch! – Bleibe auch Du das, und lebe wohl. Mit den herzlichsten Grüßen an die Deinen
Dein treuer
H. Allmers.
a gestr.: das mir in tiefster Seele wohl that; b gestr.: war; c eingef.: doch; d gestr.: ich; e gestr.: we; f gestr.: ich selbst; eingef.: es mir; g gestr.: dachte; h gestr.: Wenn; eingef.: Sie; i gestr.: Vo; j gestr.: romantischen; eingef.: Arnim-Brentanosche; k gestr.: so da; l gestr.: gestr.: g; m gestr.: bin es; n gestr.: ka