Hans Wolfgang Behm an Ernst Haeckel, Karlsruhe, 11. April 1909
Karlsruhe, den 11 April 1909.
Mein hochgeehrter Herr Professor!
Wohl lange habe ich es mir überlegt, habe gezaudert, habe es nicht gewagt, die Feder zu ergreifen, um an den Mann eine Bitte zu richten, für den heute tausende von Naturforschern leben und kämpfen, der sie mein hochgeschätzter Herr Professor in meinen Augen ein Aufklärer der europäischen Wahrheit des 19ten Jahrhunderts und für alle Zeiten geworden sind.
Wohl muß ich es hier unterlassen, Ihnen meinen tausendfachen Dank für das auszudrücken, was Siea durch zahlreiche Ihrer Werke mir geworden sind. Ich kann hier keine Worte finden. Sie sind mir mehr wie ein Vater geworden, ein Mann, für den ich glaube wacker fechten zu können, für den ich später jederzeit mit reinem Gewissen eintreten kann (das ist mein || höchster Wunsch)
Wohl kann ich Sie jetzt kaum überzeugen, daß ich im Alter von 19 Jahren eine feste Weltanschauung gewonnen zu haben glaube, eine natürliche, vollkommen reine Weltanschauung, wie sie Ihr „Monismus“ in voller Wahrheit ist. Ich kann Sie ferner wohl nicht davon überzeugen, wie ernst ich es hierbei meine und wie schwer es mir gefallen ist als unerfahrener junger Mensch an Sie persönlich mich zu wenden, von Ihnen zu verlangen sich überhaupt mit mir abzugeben, da Sie doch genug zu arbeiten haben und in einem hohen Alter stehen.
Mein hochgeehrter Herr Professor, nur noch wenige Wochen sind es und ich trete ein ins Lehramt. Ein solches Amt kann mich aber nicht befriedigen, ich gedenke es in einigen Jahren zu erreichen, mich dem Studium der Zoologie widmen zu können. ||
Ich glaube meinen Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen im Vertrauen auf das idealste und größte Vorbild, das sie mir, Herr Professor, geworden sind, im Vertrauen auf die Tugenden des Schönen, Wahren & Guten, wie sie mir nur Ihr Monismus bieten kann.
Etwa 2 Jahre beschäftige ich mich mit ihren Werken und konnte zu meiner größten Freude meine ersten öffentlichen Vorträge am 3ten und 8ten Januar dieses Jahres vor einem zahlreichen Publikum halten, deren Themata Auszüge aus Ihrer wertvollen und einzig dastehenden Anthropogenie waren. Schon im November hatte ich im engeren Kreise 2 Vorträge in der Aula des Lehrerseminars I. zu Karlsruhe gehalten. Der Direktor meinte damals ich sollte auch späterhin äußerst vorsichtig sein mit dem Namen „Haeckel“, den ich übrigens, wie ich glaube, nur einmal erwähnte. Ich wußte nämlich ganz genau || daß ich es mit heuchlerischen Dualisten zu tun hatte.
Ich will jetzt aber meine Bitte aussprechen, ich würde Sie, mein geehrter Herr Professor, sicherlich langweilen, Ihnen noch meine Empörung zu schildern, die ich beim Lesen so mancher Gegenschriften der „Welträtsel“ empfand, so p. ex. die scharfe, rausgesuchte und wie ich glaube absichtlich verdrehte des Dr. Dennert.
Vor 2 Jahren lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf die Protozoen, machte selbst viele Infusionen, holte Wasser aus verschieden beschaffenen Tümpeln und stellte ununterbrochen Beobachtungen an mit meinen beiden Mikroscopen. Anfangs machte es mir viel Mühe, Arten zu unterscheiden, aber „Übung macht den Meister“, dachte ich und hatte im Dezember 1907 eine erste kleine Arbeit über die Protozoen speciell Rhizopoden meinem geehrten || Lehrer in der Naturgeschichte zur Durchsicht gegeben. Seitdem sind die Protozoen Gegenstand meines Lieblingsstudium geworden.
Ich beabsichtige nun nach und nach immer mehr Stoff zu sammeln, um eine kurze, etwas geschlossene Arbeit über die Protozoen zu Stande zu bringen um sie möglicherweise in ein oder mehreren Jahren als kurzen Leitfaden für den vernachlässigten Naturgeschichtsunterricht an Mittelschulen und den Lehrerseminarien in Druck erscheinen zu lassen; um so manche wissensbegierige Schüler auch mit den einzelligen Organismen bekannt zu machen. Ich will nun die Sache so behandeln, daß eben an die Entwicklungsgeschichte angeknüpft wird, um den Schüler zum selbstständigen Weiterdenken anzuregen. So möchte ich nun die Moneren als besondere Klasse der Protozoen behandeln, etwas über Archigonie etc. beifügen, || und hier möchte ich Sie nun höflichst bitten, sehr geehrter Herr Professor, ob sie es gestatten, bei Behandlung der Rhizopoden spec. Moneren auf Stellen hierüber in Ihrer „natürlichen Schöpfungsgeschichte“ zu verweisen oder selbst manche Stellen in meine Arbeit aufzunehmen. (natürlich mit Angaben des Autors).
Wohl werde ich Sie jetzt auch nicht überzeugen können, wie ernst ich es mit meiner Arbeit meine; Sie werden mir auch vorwerfen müssen, eine solche einem Akademiker zu überlassen! Aber es soll ja nur ein Versuch sein!
Ich habe selbst nebenher im Winter-Semester an der hiesigen technischen Hochschule Vorlesungen über Entwicklungsgeschichte der Tierwelt gehört, auch hier fiel es mir auf, daß die Protozoen so kurz || behandelt werden.
Nachdem ich nun meine Bitte ausgesprochen habe, muß ich selbst sagen, daß es von mir Viel verlangt ist, von Ihnen, Herr Professor, eine Antwort zu erwarten, daß Sie sich die Mühe nehmen müßen. Ich bleibe Ihnen aber großen Dank schuldig und werde es nie vergessen!
Sagte mir nicht neulich ein Student: „Ernst Haeckel“ ist jeweils Pfingsten in Baden-Baden. Sofort tauchte mir der Gedanke auf, wenn es auch dieses Jahr der Fall sein sollte, Pfingsten nach Baden-Baden zu fahren, das ja in nächster Nähe von Karlsruhe liegt, um den Helden des 19. Jahrhunderts persönlich zu schauen. Vielleicht kann ich es in Erfüllung gehen sehen! Denn wahrhaft, Herr Professor, in Ihrer Person sehe ich den größten Kämpfer || für Wahrheit und Natürlichkeit und zugleich den größten Propheten des unsterblichen Darwin. Wohl kann ich mich sehr darauf freuen aus dem Munde ihres Schülers „Walther May“ im Sommersemester über „Ernst Haeckel“ zu hören, nachdem der große Darwin im Wintersemester vorangegangen ist.
Idem ich mir erlaube, es wage, Ihnen Herr Professor, einen ersten Gruß zuzurufen
zeichne
Hochachtungsvoll ergebenst
Hans Behm.
N.B.
Karlsruhe i/B.
Sofienstr. 77III.
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