Clara Bermann an Ernst Haeckel, München, 14. März 1907
München 14.III.07.
Hochverehrte Excellenz,
gestatten Sie zunächst meinem Mann und mir, Ihnen unseren herzlichsten Glückwunsch zu der Ihnen gewordenen Ehrung auszusprechen. Nicht daß durch den Titel Ihrem Werte etwas hinzugefügt würde, das ist nicht möglich, u. für Ihre Verehrer u. Bewunderer, zu denen wir beide seit langer Zeit gehören, werden Sie immer nur Ernst Haeckel, der Bahnbrecher der Wahrheit u. Erkenntnis bleiben. Aber, es war uns eine herzliche Freude, daß außer den Vielen, || die unverdient Titel und Ehrungen erhalten, auch jemand Excellenz wurde, der in der Tat excelliert auf dem vornehmsten Gebiet, dem des Geistes und der Wissenschaft. In zweiter Linie aber schreibe ich diesen Brief im Namen meines Mannes, der momentan kaum einen Augenblick freie Zeit hat, u. überlastet ist mit den Arbeiten für die große Jubiläumsausstellung in Mannheim. Mein Mann hatte die Absicht, Ihnen zu Ihrem Jubiläum als Zeichen seiner Dankbarkeit u. tiefster Verehrung einen Abguß Ihrer nun fertigen Büste zu überreichen. Durch die Fülle der Arbeit war es ihm aber leider unmöglich, den Abguß so zu tönen, wie er || ihn haben möchte. Er bittet Sie nun, die Arbeit einstweilen im Geiste anzunehmen; das Konkretum kommt an, sobald die Werke für Mannheim abgeliefert sind. ‒
Die Bewegung des Monistenbundes schreitet in München rüstig vorwärts. Sie haben sicher den Erlaß des Erzbischofs von Freysing gelesen, der sich gegen den Monismus wendet. Ich freute mich sehr über denselben; ein glänzenderes Zeugnis für die Machtzunahme des Bundes konnte er kaum geben. Ein „Feind“, vor dem die mächtige katholische Kirche warnt, muß ein gefährlicher Gegner sein. Jedenfalls ist das erste Signal zum offenen Kampf gegeben, || zu einem Kampf, der in gewissen Sinne an den zwischen Rußland u. Japan erinnert; zu einem Kampf zwischen der Größenausdehnung der Verdummung u. der Konzentration der Aufklärung u. Intelligenz. Der Krieg wird lange dauern u. heiß sein; aber ich bin überzegt, daß es hier nicht heißen wird: „Unsinn, Du siegst!“ ‒
Ihren Sohn haben wir leider noch nicht kennen gelernt, doch verstehen wir es, daß er, wie er schreibt, jetzt keine Ablenkung haben kann; so freuen u. vertrösten wir uns auf spätere Zeiten. –
Wir hofften immer, Ew. Excellenz einmal in München in unserem Heim begrüßen || zu dürfen, doch leider bis jetzt vergeblich.
Ihre Frau Gemahlin gesund hoffend, bitten wir um herzliche Empfehlungen an dieselbe.
Mit verehrungsvollen Grüßen von meinem Mann u. mir bin ich
Ihre Ihnen aufrichtig ergebene
Clara Bermann.