Brettauer, Josef

Josef Brettauer an Ernst Haeckel, Wien, 29. Dezember 1858

Wien 29.12.58.

Mein lieber Häckel!

Wenigstens vor Ablauf des Jahres will ich nicht so sehr zuerst mein Stillschweigen entschuldigen (denn dazu hat es ja noch Zeit, − oder ist es wohl längst zu spät) als Dir sagen, daß mich der Kopf Deines Briefes seiner Zeit ebenso sehr überraschte, als mich dessen weiterer Inhalt recht herzlich freute. Nimm noch nachträglich meine innigsten Glückwünsche zu dem für Dich so wichtigen Ereigniße an; sie kommen aus einem wärmern und aufrichtigern Herzen, als freilich ihr so spätes Eintreffen beweisen dürfte. Die lebendige und warme Schilderung Deiner mir noch unbekannten Braut habe ich mit großer Spannung gelesen; für deren Objectivität bürgt hier Dein offenes Auge, Dein scharfer Beobachtungssinn, Dein ehrliches Wesen; umso mehr habe ich mich mit Dir gefreut, Dich vergnügt und glücklich zu wissen sowohl jetzt als in Zukunft; all daß, was Du in Deiner Braut gefunden und in ihr besitzest, weißt Du zu würdigen u. warst dessen werth; daß Du es gefunden: dazu nochmals meinen herzlichsten Glückwunsch. Ich sehne mich jetzt nur Dich recht bald zu sehen u. Dein Cousinchen kennen zu lernen.

Dein Brief traf mich mitten in den Rigorosumsarbeiten; nach glücklich überstandener erster Hälfte eilte icha (gleich tagsdarauf) zu meiner Schwester nach Triest, um sie als Mutter ihres erstgeborenen Sohnes zu begrüßen. Familienver-||hältniße (meine Mutter u. mein Bruder fanden sich ebenfalls dorten ein) dehnten meinen Aufenthalt in Triest auf mehr als fünf Wochen aus u. jetzt sitze ich wieder seit einiger Zeit hinter den dickleibigsten Büchern, um mich ebenso wie die Schaar der patentirten und civilisirten Menschenausrotter einreihen zu lassen. Wie oft habe ich bei meinen Spatziergängen ans Meer trotz der vorgerückten Jahreszeit u. sehr ungünstigen Witterung an Dich gedacht u. Dich sehnlichst an meine Seite gewünscht; es war mir nicht bloß um den positiven Gewinn an zoologischen u. histologischen Kenntnißen zu thun, sondern auch um Deinen persönlichen Umgang, den ich in Triest genoßen und im nächsten Winter in Berlin (1859/60) nicht vermißen müßte, wenn Du Deine beabsichtigte italienische Reise um einige Monate früher angetreten hättest und dann um so bälder nach Deiner Vaterstadt, zurückgekehrt wärest. Ich habe in der That auf Grundlage Deiner brieflichen Mittheilungen schon mehrmals nachgerechnet, wie lange ich in Berlin werde auf Dich warten müßen, da ich den nächsten Winter dorten zuzubringen hoffe. Vorerst freue ich mich, Dich in Bälde hier zu sehen, denn Du wirst u. kannst wohl keinen andern Weg nach dem Süden einschlagen u. wirst wohl Deinen Wiener Bekannten u. Freunden sowie der vielgeschmähten Hauptstadt einige Tage schenken; ich habe jetzt schon von mehreren Bekannten, die sich ebenso wie Du blos kurze Zeit hier aufhielten u. schonungslose Kritik über Wien und die Wiener übten, gehört, daß denn doch die hier verlebte Zeit und die || verschiedenen Erlebniße ihnen eine ganz angenehme Erinnerung bilde, vielleicht – auch mehr als bloße Erinnerung. Findest Du vor Deinem Eintreffen dahier einige freie Augenblicke mich davon zu unterrichten, so wäre es mir überaus angenehm; ich gebe Dir auch über Anfrage meine Adreße auf, denn Dich directb auffordern mich bald wieder Etwas über Dich hören zu lassen, darf ich kaum wagen, da mein nicht zu entschuldigendes langes Stillschweigen mir es verbietet.

Über Deine hiesigen Bekannten kann ich Dir melden, daß Call u. Steinach ihr erstes Rigorosum glücklich überstanden , Becker sich darauf vorbereitet; Richthofen habe ich seit dem Sommer nicht gesehen u. habe ich mir vorgenommen, dieser Tage Nachforschungen über ihn zu halten; Jäger soll nächstens Privatdocent der vergleichenden Anatomie werden, ein hier mit Rücksicht auf Hyrtls Character u. Stellung bis jetzt noch unerklärter Vorgang. Die Schottenthorgesellschaft geht mehr [oder] weniger in Brüche, da Privatinteressen u. angestrengtere Beschäftigung der einzelnen Mitglieder es nächstens zu der Errichtung einer Filiale kommen lassen dürfte. − Daß Professor Ludwigs einziger Knabe ein Opfer der hiesigen Typhusepidemie wurde, hast Du vielleicht schon gehört; der arme Mann hat wirklich Pech; denn vor drei Jahren verlor er hier seinen Bruder (stud. medicinae) ebenfalls am Typhus.−

Und nun, lieber Häckel, laß Dich recht bald bei uns sehen oder wenn es zu lange dauert, so – ich bitte Dich doch darum – schreibe mir Einiges über Dich, Deine Braut, Deine Arbeiten u. die Berliner medicinische Welt.

Empfiehl mich Deiner Braut unbekannter Weise u. || verdopple vor Deiner Abreise die Dosis Deiner Besuche bei ihr – etwas mehr als eine halbe Stunde des Tags; wenn Du selbst während Deines Bräutigamstandes die ganze übrige Zeit Deinen wissenschaftlichen Arbeiten zuwendest, wirst Du mir nur zu schnell Profeßor: das Zeug dazu hast Du.

Adieu. Es grüßt Dich herzlichst Dein

Jos. Brettauer.

Alservorstadt, Wickenburggasse No 17. II Stock Thür 6.

Inliegende Karte bitte ich Dich, wenn es Dir keine Mühe macht, an ihre Adresse zu befördern. Du kennst wohl den Adressaten schon aus seiner Arbeit „über die Entwicklung der Bindesubstanz” u. triffst ihn gewiß bei Virchow, wenn Du nicht schon früher seine Bekanntschaft gemacht hast.

a eingef.: ich; b korr. aus: directer

 

Letter metadata

Recipient
Dating
29.12.1858
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 5809
ID
5809