Ilg, Albert

Albert Ilg an Ernst Haeckel, Wien, 28. November 1871

Wien, den 28. Nov. 71.

Geehrter Herr Decan!

Ich habe aus Ihrem geschätzten Schreiben vom 27. dieses Monats ersehen, daß meine Promovirung zum Dr. phil. an der Universität Jena nicht zulässig befunden wurde. Den Stein des Anstoßes bildet a Punkt 8 der Bedingungen, nach welchem ich die „wohlbestandene wissenschaftliche Staatsprüfung“ nicht gemacht habe oder mich „als wissenschaftlicher Schriftsteller im Kreise meiner Fachgenossen“ noch nicht „rühmlichst bekannt gemacht“ habe. Die wissenschaftliche Staatsprüfung habe ich freilich nicht abgelegt. Das Warum liegt in den Verhältnissen der philosophischen Studien in Oesterreich, – nicht in meiner Unfähigkeit oder Bequemlichkeit. Es wird Ihnen vielleicht unbekannt sein, daß wir armen Hörer der philosophischen Fakultät hier zu Lande nicht aus unserem Fache Prüfung machen dürfen. Wäre dem so, so blieben die Universitäten in Deutschland draußen mit solchen Petitionen, wie die meinige ist || – wenigstens von Seite aller redlichen u. fleißigen Jüngern der Wissenschaft, denen der Doktortitel kein leerer Zierrat sein soll, verschont. Aber bei uns in Oesterreich müßte ich z. B., dessen Fach Kunstgeschichte ist, die Prüfung u. a. auch aus sämmtlichen Fächern der Naturwissenschaften, Mathematik, Latein, Griechisch, Philosophie, Pädagogik, Geographie, Geschichte etc. etc. bestehen und dazu habe ich warlich keine Zeit! Meine angestrengte Thätigkeit im Museum läßt mir keine Frist, um Studien in Mathematik zu treiben, die ich rein nur für die Prüfung zu machen hätte und dann behaglich u. ungestört vergessen darf! Die hiezu erforderliche Zeit verwende ich lieber zur Vervollkommnung der kunsthistorischen Studien, die meine Freude u. mein Lebensberuf sind.

Die eine Bedingung, eine Staatsprüfung bestanden zu haben, kann ich also als Unterstützung meines Gesuchs nicht vorweisen. Das „oder“ heißt: literarische Renommée. Rühmlichst bekannt, wie der Ausdruck Ihrer Bedingungen lautet, kann, will ich meine Leistungen auf dem Gebiete || der Kunstgeschichtsschreibung allerdings nicht nennen, – wer dürfte denn auch so unbescheiden sein, sich dem löblichen Senate der Fakultät mit der Behauptung zu nahen, als sei ein „rühmlichst bekannter“ Autor? Indeßen darf ich doch der Wahrheit gemäß aussagen, daß meine bisherigen Arbeiten, u. hierunter eben die vorgelegten, nicht unrühmlich von den Capacitäten in meinem Fache aufgenommen u. besprochen worden sind. Weil Ihre „Bedingungen“ mich nun schon dazu herausfordern, muß ich denn bemerken, daß Hermann Grimm in Berlin, der gefeierte Autor des Lebens Michelangelo’s, in den Preußischen Jahrbüchern (Juliheft 1871) meinen Cennini äußerst lobend besprochen hat; außerdem vermag ich der löblichen Fakultät Briefe von Wilhelm Lübke, von Alwin Schultz, von Wilhelm Unger vorlegen, die dasselbe Buch in ebenso ehrenvoller Weise kritisirten. Abgesehen davon hoffe ich darin kein Zeichen vollkommener Unbedeutendheit erblicken zu dürfen, wenn eine Persönlichkeit wie Eitelberger, ein Institut wie das Historische Museum, das anerkanntermaßen || den ersten Rang unter verwandten Anstalten am Continente einnimmt, wenn die Central Commission und der Alterthumsverein in Wien mir die Spalten ihrer verschiedenartigen Publikationen bereitwillig, mit Anerkennung u. Lob eröffnet haben und es mir gegönnt ist, in jenem Institut neben Männern wie Eitelberger u. Falke wirken zu können.

Glauben Sie mir, hochverehrter Herr, – wir Oesterreicher gehen nicht gerne an fremde Universitäten, uns unser Doktorat zu holen, uns treiben die auch in diesem Punkt traurigen Verhältnisse in der Heimat!

Wenn, – nein, da mein Wunsch also keine Willfahrung erlangen kann, so bitte ich, mir so bald als möglich mein Gesuch, – und indem dasselbe ohnehin noch nicht an die Fakultät gelangt ist, – sämmtliche Beilagen auf meine Kosten zurücksenden zu wollen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebenster

Albert Ilg

Wien, IV. Dannhausergasse 3.

a gestr.: der Umstand bildet

 

Letter metadata

Author
Recipient
Dating
28.11.1871
Place of origin
Country of origin
Destination
Jena
Possessing institution
UAJ
Signature
M 420, Bl. 135r-v, 144r-v
ID
50134