Missiv des Dekans der philosophischen Fakultät, Ernst Haeckel, Jena, 21. Oktober 1871
Senior venerande!
Assessores gravissimi!
Herr Wilhelm Scheffler, cand. phil. aus Königsberg, geb. 1847, bewirbt sich um die Promotion, womöglich in absentia, sonst in praesentia. Da derselbe noch keine Staatsprüfung bestanden hat, kann nur von der promotio in praesentia die Rede sein. Der Candidat hat 4 Jahre in Königsberg und Breslau Philologie, speciell neuere Sprachen studirt, sich dabei theilweise durch Stenographie seinen Lebensunterhalt erworben und im vorigen Jahre den französischen Feldzug mitgemacht, in welchem er zum Seconde-Lieutenant befördert wurde. Der Candidat äußert zwar den „ernstlichen Vorsatz, später das Oberlehrer-Examen zu machen“, scheint sich aber eigentlich der Stenographie widmen zu wollen. Er ist gegenwärtig als Stenograph beim Deutschen Reichstage in Berlin beschäftigt und hat sichere Aussicht, nach Erwerbung des Doctorgrades an dem Königl. stenographischen Institute in Dresden angestellt zu werden. Die eingesandte Abhandlung ist betitelt: „Über den Einfluß der Wiederauflebung der Wissenschaften auf die Entwicklung der englischen Literatur“. Ob dieselbe zur Zulassung zum mündlichen Examen genügt, ersuche ich Herrn Collegen Fischer zu beurtheilen.
Hochachtungsvoll
Jena 21. Octob. 71
Haeckel
d. Z. Decan║
Decane maxime spectabilis,
selbst wenn die Vorbedingungen erfüllt wären, ließe sich die Absenz Promotion des Kandidaten aufgrund der vorliegenden Arbeit nicht empfehlen, denn die letztere ist nicht druckwürdig. Sie ist eine oberflächliche und werthlose Compilation aus einem Compendium englischer Literaturgeschichte und giebt gar kein Zeugniß, daß der Vf. eigene eingehende Studien gemacht hat. Er würde auch sonst nicht auf ein paar Blättern den Einfluß der Renaissance auf die englische Literatur abhandeln. Daher kann ich auf Grund dieser Arbeit auch nicht die Zulassung des Cand. zur mündlichen Prüfung empfehlen. Ich empfehle die Abweisung.
K. Fischer
Für AbweisungSnell
EbensoStickel
- Nipperdey
- E. E. Schmid
- A. Schmidt
- Hildebrand
- A. Geuther
- C. Bursian
- Moritz Schmidt
Beschluss: Abweisung. Hkl.