Snell, Karl

Missiv des Dekans der Philosophischen Fakultät, Karl Snell, Jena, 26. April 1870

O. Ph.

Assessores gravissimi.

Gegen die Erneuerung des Diploms von Leo hat Herr Professor Haeckel, wie Sie aus der anliegenden Missive ersehen, Bedenken erregt, welche ich Ihrer Erwägung anheimgebe. Die öffentlichen Antecedentien des Professors Leo, auf welche Herr Professor Haeckel Bezug nimmt, können mir kein ernstliches Bedenken erwecken. Was die ebenfalls erwähnten privaten Antecedentien desselben, die Anstoß erregen könnten, betrifft, so sind mir dieselben unbekannt. Dieselben werden jedoch, wenn sie überhaupt vorhanden sind, schwerlich von der Art sein, daß die Rücksicht auf die eigene Ehre uns geböte, die übliche und von uns erwartete einfache Begrüßung beim Jubelfest zu unterlassen.

Um diese Sache zu Ende zu bringen, wird es nöthig sein, sich darüber schlüssig zu machen, ob zur Diplomerneuerung, wie zur Ehrenpromotion Einstimmigkeit verlangt wird. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Arten von Ehrenbezeugung ist vorhanden, insofern es sich bei der ersteren nicht um die Ertheilung einer Würde, sondern nur um eine formelle Begrüßung handelt.

Ich bitte Sie darüber abzustimmen, ob Sie bei einer Diplomerneuerung Einstimmigkeit für erforderlich halten, und zugleich über die betreffende Erneuerung nochmals Ihr Votum abzugeben: wenn kein Consess beantragt wird, werde ich den per majora gefaßten Beschluß als gültig betrachten.

Jena 26t April 1870.

Snell

d. Z. Decan.

Decane maxime spectabilis!

Insofern die Erneuerung des Diploms ein Act der Ehrenbezeugung ist, welcher nicht unbedingt bei jeder bei jedem Doctorjubiläum stattfindet, muß sie meiner Meinung nach allerdings der Ehrenpromotion gleichgestellt werden. Da es sich hier aber allein um die Anerkennung unbestreitbar großer wissenschaftlicher Verdienste handelt, und ein Unterlassen der üblichen Ehrenbezeugung aus politischen Gründen dem Ruf unserer Facultät wohl nachtheilig sein könnte (an den privaten Antecedentien Leo‘s ist bisher noch kein öffentlicher Anstoß genommen, und möchte wohl das Meiste auf Gerede beruhen, von dem Notiz zu nehmen, der Facultät nicht würdig wäre, so hoffe ich, daß Herr College Haeckel seinen, wie mir scheint, allein stehenden Widerspruch auch zurücknehmen und die Facultät nicht unliebsamer Nachrede aussetzen wird.)

Nipperdey

Bezüglich der Frage über das Verhältniß der Ehrenpromotion zur Erneuerung des Diploms, wie der Herr Senior, im Übrigen wie Herr College Nipperdey.

E. E. Schmid

Ebenso. K. Fischer

Ich bin der Meinung, daß die Nichterneuerung eine eklatante Beleidigung ist und der Universität zur unauslöschlichen Schmach gereichen würde; die Politik und die Anteceduction kommen gar nicht in Betracht. Ich bin ferner der Meinung, daß die Majorität genügt, da es sich nicht um eine Ehrenpromotion im gewöhnlichen Sinne handelt, hoffe aber überdies, daß Herr College Häckel seinen Einspruch aufgeben wird. Endlich aber, da ich der Historicus unserer Universität bin, und da demnach die Schuld der Schmähung in den Augen der öffentlichen Meinung auf mich || zurückfallen dürfte: so erkläre ich hiermit, daß ich eventuell mit dieser Sache sofort in die Öffentlichkeit treten würde. Es giebt keinen größeren Vorwurf für gelehrte Anstalten als den, das objektive Urtheil über wissenschaftliche Bedeutung durch engherzige Nebengesichtspunkte trüben zu lassen. Leo‘s wissenschaftliche Bedeutung ist aber allein schon wegen seiner Italienischen Geschichte, die Epoche gemacht hat, über jeden Zweifel erhaben. Und nur der wissenschaftlichen Bedeutung gilt die Erneuerung des Doktordiploms

Sollte Herr College Häckel von seinem Einspruch nicht abstehen, so würde Herr College Nipperdey hoffentlich seine Ansicht über die Majoritätsfrage zu modificiren geneigt sein, um einem unerhörten öffentlichen Skandal vorzubeugen.

Ad. Schmidt

Ich bin der Meinung, daß die Majorität der Stimmen zur Erneuerung genügt, und habe auch nichts gegen die Erneuerung, kann aber die „unauslöschliche Schmach“ nicht einsehen, welche die Nichterneuerung der Universität bringen würde, und muß dagegen protestiren, daß ein Mitglied der Facultät bei der Abstimmung in einer Facultätsangelegenheit mit der Öffentlichkeit droht.

Hildebrand

Meiner Ansicht nach ist die Diplom-Erneuerung, obwohl eine Ehrenbezeugung, doch nicht mit einer Ehrenpromotion zu identificiren, und es hat deshalb bei ihr einfache Majorität zu entscheiden, im Übrigen theile ich die Ansichten des Herrn Collegen Nipperdey.

A. Geuther

Ich habe durch mein Votum meinen Theil der Verantwortlichkeit dafür abgelehnt, dass die Facultät einem Mann eine öffentliche Ehre erzeigt, welcher dieser nach meiner Überzeugung nicht würdig ist, und enthalte mich nunmehr der Abstimmung in dieser Angelegenheit.

Haeckel.

In der Formfrage halte ich dafür, dass für die Erneuerung des Diploms die einfache Stimmenmehrheit genügt; in der Sache stimme ich dem von Herrn Collegen Adolf Schmidt abgegebenen Votum ausdrücklich bei.

C. Bursian

Da ich gestern von hier abwesend war, kann ich erst an dieser Stelle meine Ansicht aussprechen und bemerke:

1. Nachrichten über die Privatverhältnisse des Herrn Leo sind mir unbekannt; es müßten sichere Mittheilungen sehr gravirend sein, wenn sie bei einem Mann, der im Staatsdienst belassen worden ist, auf die Entschließung unserer Facultät irgend einen Einfluß haben sollten.

2. Die Erneuerung eines Diploms, mag man sie als eine Wiederertheilung oder als eine Beglückwünschungs-Formalität ansehen, habe ich immer bei jedem 50-jährigen Doktorjubiläum als eine durch althergebrachten Usus geheiligte Sitte angesehen, daß ich mich als Decan für verpflichtet achtete, aus den Acten mich darüber zu informiren, ob ein solches Jubiläum in mein Decanat falle, um, auch unaufgefordert von außen, nicht durch eine Unterlassung eine Verpflichtung zu verletzen.

3. Sollten wir keinen Riß in die allgemeine akademische Tradition machen, ergibt sich im gegebenen Falle die Erneuerung als selbstverständliche Folge. Die wissenschaftlichen Verdienste Leo‘s sind hinlänglich anerkannt und es wäre demnach hier am wenigsten eine Abweichung gerechtfertigt.

4. Für eine Diplomerneuerung halte ich Stimmeneinhelligkeit nicht für erforderlich.

5. Verwahre ich mich aber auch, wie Herr College Hildebrand, gegen die in einem der verehrlichen Voten enthaltene Drohung.

Stickel

 

Letter metadata

Author
Dating
26.04.1870
Place of origin
Country of origin
Destination
Jena
Possessing institution
UAJ
Signature
UAJ, M 413, 57r-58v
ID
47215