Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Bielefeld, 31. August 1918

Bielefeld, 31.8.1918

Sehr geehrter Herr Professor!

Aus Ihrem Brief vom 28. d. M. ersehe ich, dass meine sog. Denkschrift zur Reorganisation des Monistenbundes abgelehnt worden ist, u. zwar hauptsächlich wegen der praktischen Vorschläge. Die Bedenken gegen sie sind aber hinfällig, wenn die Voraussetzungen, unter denen ich die Vorschläge gemacht habe, eintreffen. Sie entsinnen sich, dass bei unseren Besprechungen Herr Dr. Schmidt wiederholt sagte, er hoffe bestimmt, dass Herr Ludovici sich werde bereit finden lassen, seine Stiftung an den Monistenbund nach Jena zu überschreiben und Herr v. Hügel werde gern bereit sein, auf sein Gehalt aus dieser Stiftung zu verzichten. Sie selbst hatten die Absicht, Herrn Ludovici nach Jena zu bitten, um mit ihm diese Angelegenheit zu besprechen. Auch glaubten Sie Herrn Umrath zu einer Stiftung für diese Zwecke veranlassen zu können. Ich nahm also einstweilen an, das Geld sei sichergestellt, und von dieser Voraussetzung aus wurden dann meine Reorganisationsvorschläge gemacht. Wenn Sie dieselben von diesem Standpunkte aus betrachten, so werden Sie sie nicht mehr so verwerflich finden, sondern höchst zweckmässig, und ich bleibe nach wie vor fest davon überzeugt, dass nur auf dieser oder doch auf einer ganz ähnlichen Grundlage der Monistenbund eine Zukunft haben kann. In den Besprechungen, die nach meiner Abreise stattgefunden haben, scheint Niemand auf diese Voraussetzungen meiner Vorschläge hingewiesen zu haben. Wenn die Gehälter der Direktoren aus einer Stiftung gedeckt werden können, so sind die übrigen Verwaltungskosten aus den Mitgliederbeiträgen leicht aufzubringen, ebenso die Kosten der Zeitschrift u.s.w. ||

Wie dem nun auch sein mag, ich sehe, dass mein Vorschlag abgelehnt ist und dass ganz unerwartet, ohne dass ich eine Ahnung davon hatte, eine neue Gesellschaft entstanden ist. Herr Dr. Schmidt teilte mir am 27. d.M. die Gründung der ‚Gesellschaft zur Förderung der Entwicklungslehre‘ mit folgenden Worten mit: „Nach mehreren Besprechungen, die nachträglich noch stattfanden, sind wir übereingekommen, einfach eine ‚Gesellschaft zur Förderung der Entwicklungslehre‘ zu gründen, die nicht an die Stelle des Monistenbundes treten soll, sondern unabhängig von ihm ihre Ziele verfolgt.“

In dieser Mitteilung wird der Name des Herrn Dr. Rahner nicht erwähnt, ich musste also annehmen, Sie selbst hätten die Gesellschaft mitgegründet. Nun schreiben Sie selbst mir aber, Dr. Schmidt und Dr. Rahner hätten Sie mit der Gründung überrascht. Und während Sie selbst nach Ihrem Briefe ‚einstweilen resigniert bleiben‘, schreibt mir Dr. Schmidt: ‚Prof. Haeckel ist begeistert für die Gesellschafts-Idee und wirbt für sie.‘ Ich kann die Dinge nicht unter einen Hut bringen und muss mich am meisten darüber wundern, dass man mich nicht von der beabsichtigten Gründung in Kenntnis gesetzt hat.

In meinen Briefen an Sie habe ich wiederholt gesagt, nach meiner Meinung müsse das Archiv zu einer Art Zentralstelle für den Monismus und die Entwicklungslehre ausgestaltet werden und schon vor einigen Jahren habe ich diesen Gedanken in der ‚Neuen Weltanschauung‘ ausgeführt. Die neue Gesellschaft ist nichts weiter als diese Zentralstelle! Bei dieser Gesellschaft scheint man mich an leitender Stelle, im Vorstand o. dgl. nicht brauchen zu können oder nicht haben zu wollen, denn Dr. Schmidt fordert mich lediglich auf, mich als Mitglied anzumelden und schreibt, dass ein Jahresbeitrag von M. 20 vorgesehen sei. Es ist nicht meine Art, allen möglichen Vereinen einfach als zahlendes Mitglied beizutreten. Wenn ich mich für eine Sache || lebhaft interessiere, will ich an ihr mitarbeiten können, sonst lasse ich Finger und Geld davon. In der Angelegenheit der neuen Gesellschaft sehe ich noch nicht klar. Einstweilen scheint die Gesellschaft nur aus Dr. Schmidt und Dr. Rahner zu bestehen. Solange ich nichts weiter weiss, keine Satzungen etc. in den Händen habe, nicht die Zusammensetzung des Vorstandes etc. kenne, muss ich es machen wie Sie, d.h. ich verhalte mich ‚resigniert‘.

Ich habe neulich die Reise nach Jena angetreten in der ganz festen Hoffnung, dass wir nun endlich etwas Brauchbares schaffen würden. Meine Hoffnung ist wieder einmal schwer enttäuscht worden und ich bin jetzt, wie Sie selbst, ‚durch meine vielen vergeblichen Bemühungen um den Bund sehr entmutigt.‘ Ob ich jemals die Arbeit für diese Sache wieder aufnehmen werde, ist mehr als zweifelhaft. Meine sog. ‚Denkschrift‘ darf ich wohl bitten mir zurück zu schicken, da ich keine ordentliche Abschrift derselben in Händen habe. Ob ich sie Herrn Riess zuschicken werde, weiss ich nicht. Ich bin nicht mehr Mitglied des Monistenbundes und wenn ich mir als Aussenstehender erlauben wollte, einen Reformplan vorzulegen, so würden mich die Herren (und nicht mit Unrecht) einfach abweisen. Auch ist Herr Riess nicht mein Freund, sondern er war stets feindlich gegen mich gesinnt, wohl dazu angeregt durch Herrn Carstens.

Wenn nun meine neuen, ehrlich und begeistert gedachten Pläne wiederum ins Wasser gefallen sind, wenn ich wieder Zeit und Geld umsonst geopfert habe, wenn man mich bei der Gründung der neuen ‚Gesellschaft zur Förderung der Entwicklungslehre‘, für die ich schon seit Jahrzehnten wirke, übergangen hat, so muss ich mich getrösten und ich behalte nur die Gewissheit, dass nach dem Kriege meine eigene Zeitschrift wieder aufleben wird. Die Mittel dazu stehen mir zur Verfügung! Ich werde dann, wie vor dem Kriege, nach allen Seiten unabhängig sein und nach freier Wahl für die mir teuren Ideen kämpfen können. ||

So bleibt mir von meiner letzten Reise nach Jena nur die eine Freude: Dass es mir vergönnt war, Sie, meinen teuren und vielgeliebten alten Lehrer und Meister, noch einmal zu sehen, vielleicht wohl zum letzten male, wenn ich auch Ihren Pessimismus nicht teile, der Sie nur noch zwei Monate leben lassen will. Sollte ich Sie wirklich nicht noch einmal sehen, so sage ich Ihnen für alle Freundlichkeiten, die Sie mir in langen Jahren erwiesen haben, noch einmal meinen herzlichsten Dank und füge die Hoffnung hinzu, dass es mir vergönnt sein möge, einiges aus Ihrem Nachlass zu bearbeiten. Es wäre mir lieb, wenn Sie hierüber eine feste Bestimmung treffen wollten, falls Sie meinen Wunsch überhaupt erfüllen wollen. Auch bitte ich um die ausdrückliche Erlaubnis, später einiges aus unserem Briefwechsel veröffentlichen zu dürfen.

Mit herzlichen Grüssen und besten Wünschen

in alter Treue

Ihr dankbaer Schüler

D. W. Breitenbach ||

Bielefeld, 31.8.1918

Sehr geehrter Herr Professor!

Gestatten Sie mir noch einen kleinen persönlichen Nachtrag zu meinem heutigen Schreiben. Als ich neulich von Jena wieder nach Haus kam, fand ich meine Frau erkrankt vor. Da der Zustand sich von Tag zu Tag rapide verschlimmerte und sie auffallend verfiel, so konsultiertena wir einen tüchtigen Frauenarzt. Dieser stellte nach sorgfältiger Untersuchung eine Ovarialgeschwulst fest und riet dringend zu sofortiger Vornahme der Ovariotomie. Am Mittwoch dieser Woche ist meine Frau denn auch operiert worden und es konnten drei Geschwülste festgestellt werden. Es war also höchste Zeit für die Operation. Diese selbst ist gut verlaufen, bis jetzt ist meine Frau fieberlos geblieben, nur ist sie natürlich ausserordentlich geschwächt. Ich hoffe aberb, dass ihrec sonst gesunde und kräftige Natur die Krankheit gut überstehen wird. Der Arzt ist guter Hoffnung und hat keinerlei Besorgnisse. Ich hause jetzt mehrere Wochen ganz allein, in dieser elenden Kriegszeitd gewiss keine Kleinigkeit. Hier regnet es seit fast drei Wochen ununterbrochen, so dass die Ernte in grösster Gefahr ist. Das Obste fällt unreif von den Bäumen und die Kartoffeln faulen in der Erde. Nette Aussichten für den Winter und unsere Ernährung.

Da kann man wohl pessimistisch in die Zukunft schauen.

Ihr getreuer

Dr. WB.

a korr. aus: konutierten; b korr. aus: abr; c korr. aus: ihr; d korr. aus: Kriegszeut; e korr. aus: Obs

 

Letter metadata

Recipient
Dating
31.08.1918
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 44987
ID
44987