Ernst Haeckel an Herman Johannes Vilhelm Lynge, Jena, 20. Februar 1894
Jena, 20. Februar 1894.
Am 16. Februar dieses Jahres war es mir vergönnt, mein 60stes Lebensjahr zu vollenden und damit zugleich die dankbare Erinnerung an meine 33jährige Lehrthätigkeit an hiesiger Universität zu verbinden. Bei dieser Gelegenheit sind mir von Nah und Fern überaus zahlreiche und mannichfaltige Beweise freundschaftlicher Theilnahme gegeben worden. Alte Freunde und unbekannte Gesinnungsgenossen, werthe Collegen und treue Schüler haben gewetteifert, durch Glückwünsche und Gaben mich zu erfreuen. Da es mir nicht möglich ist, ihnen Allen persönlich oder brieflich meinen herzlichen Dank auszusprechen, sei es mir erlaubt, ihn auf diesem Wege zum Ausdruck zu bringen.
Das reiche Maass ehrenvoller Anerkennung, welches hierbei meiner Lebensarbeit zu Theil geworden ist, hat mich tief gerührt und beglückt. Ich darf dieselbe aber nur insoweit annehmen, als sie meinem ehrlichen Ringen nach Erkenntniss der || Wahrheit und meiner vollen Hingabe an die gute Sache gilt. Im Übrigen weiss ich selbst am besten, wie weit das wirkliche Erreichte hinter dem Erstrebten, wie sehr die Ausführung der Arbeit hinter dem Entwurfe und dem Ziele zurückgeblieben ist.
Es ist mir das unschätzbare Glück zu Theil geworden, als Naturforscher an einem der grössten Fortschritte der menschlichen Wissenschaft mitzuwirken. Die drei Decennien meiner hiesigen academischen Thätigkeit gehören jenem denkwürdigen Abschnitt in der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts an, in welchem die siegreiche Entwickelungslehre unsere Erkenntniss vom Wesen und Werden der Dinge unendlich vertieft hat. Aber dieser Sieg der strebenden Vernunft, die Beseitigung altehrwürdiger Vorurtheile, und die monistische Reform unserer Weltanschauung, konnte nur unter harten Kämpfen und schweren Opfern errungen werden. Dass ich in jenen Kämpfen einige Ausdauer bewiesen und diese Opfer willig gebracht habe, rechnen meine gütigen Freunde mir vielleicht zu sehr zum Verdienst an.
Wenn es mir dabei durch eine Verkettung von glücklichen Umständen gelungen ist, einige brauchbare Steine in den grossen Entwickelungs-Bau der || Menschheit einzufügen, so erblicke ich den schönsten Lohn dafür in der wohlwollenden Anerkennung, Achtung und Liebe, von welcher ich in diesen Tagen so zahlreiche Beweise erhalten habe. Mit der erhebenden Erinnerung an diese schönen Festtage wird auch meine aufrichtige Dankbarkeit dafür unzerstörbar verknüpft bleiben.
Ernst Haeckel.