Ernst Haeckel an Wilhelm Bölsche, Jena, 5. Februar 1900
Zoologisches Institut
Der Universität Jena.
Jena, den 5.2.1900.
Lieber Herr Bölsche!
Die Correctur Ihrer Darstellung des „Darwinismus-Kampfes auf der Stettin. u. München. Naturf. Vers. (63 u. 77) – die ich heute morgen erhalten u. bereits weiter befördert, habe ich mit erneuertem Vergnügen zum II. Male gelesen, und danke Ihnen ganz besonders für die vortreffliche Charakteristik dieses großen Principienkampfes. Noch niemals ist die zweideutige (– und im Grunde recht jesuitische! –) Rolle, die „mein Freund“ Virchow dabei spielte, so treffend und wahrheitsgemäß geschildert worden. ||
Donnerstag fahre ich – einer Einladung des Herzogs von Meiningen folgend – auf 3 Tage nach M., komme Samstag Abend zurück
Der überraschende Erfolg der „Welträthsel“ dauert noch fort. Der erste Monat des „Neuen Jahrhunderts“ (– für mich von beispiellosem Erfolge! –) schloß damit, daß mir Strauss die Nothwendigkeit ankündigte, sofort eine (unveränderte) IV. Auflage – 8. u. 9. Tausend – drucken zu lassen, da die III. schon wieder fast vergriffen sei (– nach 4 Monaten! –). ||
Dagegen wird die „Systemat. Phylogenie“ (– die eine Masse neuer – hoffentlich großentheils richtiger Gedanken enthält! –) von den Fachgenossen hartnäckig todtgeschwiegen! Um so mehr freut es mich, daß die Turiner Akademie gerade für dieses Werk mir den Bressa-Preis verliehen hat. N.B. von den 10.000 Lire hat das Kgrch Italien gleich 4% (=400 L.) als „Luxus-Steuer“ für sich behalten! –). Ich hoffe damit noch manche schöne Reise zu machen, und auch die kostspieligen „Kunstformen“ zu fördern.
– In der „Syst. Phylog. stecken eigentlich 30 Jahre unablässige Arbeit; ich habe sie fast täglich im Kopf gehabt! ||
Meiner Frau, die in den letzten Wochen recht leidend war (Herz u. Nerven), geht es jetzt wieder besser. Sie grüßt mit mir Sie u. Ihre l. Frau bestens!
Stets Ihr treuer
Ernst Haeckel.
P.S. Daß das Lenbach-Porträt (am 4.1. eingetroffen, als Geschenk!) sehr gelungen ist, schrieb ich Ihnen wohl schon (à la Rembrandt).