Ernst Haeckel, offener Brief an Ferdinand Hodler, Jena, 14. Oktober 1914

[nach Abdruck]

Jena, 14. Oktober 1914

Offener Brief an Monsieur Ferdinand Hodler

Historienmaler in Genf.

Mit tiefstem Bedauern haben wir in Jena Ihren Namen unter dem lügenhaften Protest gelesen, welchen haßerfüllte Feinde Deutschlands in Genf gegen unsere angebliche Barbarei gerichtet haben und in welchem die ganze Menschheit zum Kampfe gegen uns herausgefordert wird. Sie haben durch diese gehässige und verleumderische Erklärung nicht nur unser nationales Ehrgefühl auf das Tiefste verletzt, sondern sich auch selbst ins Gesicht geschlagen. Denn Ihr vielbesprochenes Monumental-Bild: „Aufbruch der Jenaer Studenten 1813“, welches die Universität Jena um schweres Geld von Ihnen gekauft und in ihren Hallen aufgestellt hat, soll symbolisch den Beginn der nationalen Erhebung darstellen, durch welche das deutsche Volk vor hundert Jahren sich von der furchtbaren Tyrannei Frankreichs zu befreien suchte. In gleichem Sinne soll aber jetzt der ungeheure, seit zwei Monaten wütende Weltkrieg, welchen England mit Frankreichs und Rußlands Unterstützung angestiftet hat, Europa von der angemaßten Weltherrschaft Englands befreien. Daß Sie – als „Freier Schweizer“! – in völliger Entstellung der bekannten Tatsachen – diesen in Notwehr aufgedrungenen Befreiungskrieg als ein barbarisches Attentat gegen die menschliche Kultur verurteilen, zeugt ebenso von Ihrer geringen Urteilskraft, wie von Ihrer deutschfeindlichen Gesinnung.

Als achtzigjähriger Senior der Universität Jena habe ich, im Verein mit gleichgesinnten Kollegen, den Vorschlag gemacht, daß Ihr Monumental-Bild aus den Räumen der Universität Jena entfernt und öffentlich zum Verkauf ausgeboten wird. Der gesamte Verkaufs-Wert soll dem Roten Kreuz überwiesen und zur Linderung eines kleinen Teiles der Leiden verwendet werden, welche dieser beispiellose Völkerkrieg – das größte Verbrechen der ganzen Weltgeschichte! – über Millionen unglücklicher Menschen verhängt hat. Wenn unser Vorschlag angenommen wird, sind – entsprechend dem hohen Einkaufspreise – als minimaler Verkaufpreis zehntausend Mark in Aussicht genommen. Meistgebote sind bis Ende November einzureichen. Je mehr, desto besser! Für unsere Tausende von Verwundeten und Invaliden, und ihre notleidenden Familien!

Ernst Haeckel.

Brief Metadaten

ID
41274
Gattung
Offener Brief
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Zielort
Zielland
Schweiz
Datierung
14.10.1914
Sprache
Deutsch
Besitzende Institution
Universitätsarchiv Jena
Signatur
BA 1820
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Hodler, Ferdinand; Jena; 14.10.1914; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_41274