Ernst Haeckel an Walter de Gruyter, Jena, 15. Mai 1911
Jena, 15. Mai 11.
Hochgeehrter Herr Dr,
für die freundliche Zusendung Ihrer Denkschrift betreffend die Einrichtung einer Deutschen Autoren- und Verlegerkammer danke ich Ihnen bestens. Leider werde ich wohl nicht mehr in der Lage sein, mich daran beteiligen zu können. Vor 4 Wochen hatte ich das Mißgeschick, bei einem schweren Unfall den Oberschenkelhals zu brechen; bei meinen 77 Jahren || eine sehr bedenkliche Erkrankung. Ich werde zunächst noch 2 Monate an das Zimmer gefesselt sein und schwerlich wieder zu anstrengender Arbeit kommen können. Damit ist auch die Ausführung meiner Lebenserinnerungen, die ich schon vor 2 Jahren begonnen habe, ganz in unbestimmte Ferne verschoben. Natürlich habe ich bei Erwägung des eventuellen Verlags in erster Linie an Sie gedacht. ||
Da das Schreiben mir noch sehr beschwerlich fehlt, füge ich nur noch einen herzlichen Gruss bei.
Stets Ihr alter
Ernst Haeckel.
[Beilage: gedrucktes Schreiben]
Aus Anlaß des schweren Unfalls, der mich am 20. April d. J. betroffen hat und der einen Bruch im linken Hüftgelenk zur Folge hatte, sind mir überaus zahlreiche Kundgebungen herzlicher Teilnahme zugegangen. Da ich außer Stande bin, allen einzelnen Freunden und Gesinnungsgenossen meinen aufrichtigen Dank schriftlich auszusprechen, bitte ich ihn in diesen Zeilen entgegen nehmen zu wollen.
Um vielen Anfragen nach meinem jetzigen Befinden und zukünftigen Aussichten zu genügen, füge ich noch die Mitteilung hinzu, daß die Fractur des Oberschenkelhalses (innerhalb der Gelenkskapsel) relativ günstig verlaufen ist, da beide Bruchflächen fest ineinander gekeilt sind. Indessen wird die langwierige und schmerzhafte Heilung (im 78sten Lebensjahre) immerhin sehr langsam verlaufen und eine dauernde Verkürzung des Beines hinterlassen. Mehrere Monate werde ich noch an das Zimmer gefesselt sein. Besonders bedaure ich, daß dadurch mein Arbeitsplan dieses Jahres, die Einrichtung des Phyletischen Archivs und die Niederschrift meiner Lebenserinnerungen, auf unbestimmte Zeit verschoben ist.
Ernst Haeckel.
Jena, 18. Mai 1911.