Ernst Haeckel an Georg Reimer, Jena, 30. September 1867
Jena 30. Sept 67
Lieber Georg!
Den Brief meiner Agnes an Deine Frau kann ich nicht abgehen lassen, ohne Euch auch meinerseits einen herzlichen Gruß mitzusenden, und den schönsten Dank für das schöne Geschenk, durch welches Ihr uns sehr erfreut und unsere kleine Wohnung prachtvoll verziert habt. Von dem sehr glücklichen Verlauf unserer fünfwöchentlichen Hochzeit-Reise werdet Ihr bereits durch die Eltern gehört haben. Die ganze Zeit hindurch hatten wir das prachtvollste Wetter, im Ganzen nur vier Regentage, und zwar an solchen Orten, an denen der Regen nicht schadete. ||
Wir haben vorzüglich den westlichen Theil der baierischen Alpen (Kochelsee, Walchensee, Tegernsee) und den mittleren Theil des nördlichen Tyrols (Achensee, Zillerthal, Dornauberg) besucht, beide wenig besucht, aber nicht weniger schön, als die besuchtesten Parthien Salzburgs und selbst der Schweiz.
Namentlich Walchensee und Dornauberg haben uns eine Fülle der schönsten und großartigsten Naturgenüsse bereitet. Agnes, die zum ersten Male die Alpennatur sah, war außerordentlich befriedigt, und mir machte es besonderes Vergnügen, sie in stufenweiser Steigerung mit ihren Herrlichkeiten bekannt zu machen. Zuletzt waren wir nahezu übersättigt, so daß wir mit großem Vergnügen wieder unserem lieben alten Jena zueilten. ||
Hier sind wir nun seit acht Tagen mit Einrichtung unserer Wohnung beschäftigt, was uns sehr viel Spaß macht. Die Ferienruhe unsers stillen kleinen Universitäts-Dorfes kommt uns dabei sehr zu statten. Jena ist noch wie ausgestorben, da fast das ganze Corpus academicum seine Ferienreisen macht.
Mit den herzlichsten Grüßen an Dich und die Deinigen, besonders auch an Ernst und Marie
Dein
Ernst Haeckel