Ernst Haeckel an Walther May, Jena, 5. Juli 1916
Jena 5. Juli 1916.
Sehr verehrter Herr Professor May!
Aus Ihrem geschätzten, gestern erhaltenen Schreiben vom 3.7. ersehe ich mit Bedauern, dass Ihre gute Gesundheit neuerdings zu wünschen übrig lässt; hoffentlich wird sie bald wieder hergestellt, damit Sie Ihre erfolgreiche Tätigkeit im Dienste der Entwickelungslehre ungestört fortsetzen können.
Was Ihre Absicht betrifft, die reiche und eigenartige Sammlung von Dokumenten zur Geschichte des Darwinismus und der Entwickelungslehre (Bücher, Bildermappen, Tafeln etc.), welche Sie in langjähriger fruchtbarer Arbeit gesammelt haben, durch testamentarische Bestimmung dem Phyletischen Archiv in Jena zu vermachen, so kann ich als Gründer des letzteren Ihre hochherzige Absicht nur höchst willkommen heissen und versichern, dass nach meiner Überzeugung kein passenderer Ort zur Aufbewahrung und wissenschaftlichen Verwertung Ihrer Sammlung gefunden werden könnte. ||
Mein Phyletisches Archiv, in welchem ich selbst – in Verbindung mit dem Phyletischen Museum – die Früchte meiner seit 60 Jahren fortgesetzten Arbeit im Dienste der allgemeinen Entwickelungslehre (und besonders des Darwinismus) gesammelt und geordnet untergebracht habe, hat gerade jetzt einen wichtigen Schritt seiner eigenen weiteren Entwickelung ausgeführt. Nachdem die Regierung in Weimar mir für die Erweiterung und selbständige Ausgestaltung des Archivs zwei grosse Räume in dem erweiterten Neubau der Universitäts-Bibliothek zur Verfügung gestellt hat, ist vor einigen Wochen (im Juni d. J.) die Überführung der Sammlungen und des Mobiliars des Phyletischen Archivs in letztere ausgeführt worden. Die beiden Zimmer des Phyletischen Museums, in denen sie bisher untergebracht waren, sind dadurch frei geworden und dem Phyletischen Museum zur Erweiterung der öffentlichen Schausammlung (unter Direktion meines Amtsnachfolgers Prof. Plate) überlassen worden. ||
Gleichzeitig ist das Phyletische Archiv offiziell als ein neues Organ der Universität Jena anerkannt worden und wird künftig als solches – im Anschluss und unter Direktion der Universitäts-Bibliothek – im „amtlichen Verzeichnis der Behörden“ etc. aufgeführt werden. Als Archivar und Kustos des Phyletischen Archivs ist zunächst mein langjähriger Assistent, Dr. phil. Heinrich Schmidt (Jena) angestellt und bezieht eine feste Besoldung aus dem Zins-Ertrag der „Ernst-Haeckel-Stiftung“ (durch das hiesige Universitäts-Rentamt). Wir haben die weitere Absicht, bei weiterem günstigen Wachstum des Archivs nicht bloss dessen nächstes Hauptobjekt, den Darwinismus und die Deszendenztheorie und deren Geschichte durch möglichst vollständige Sammlung aller bezüglichen Dokumente (Bücher, Bilder, Literalien aller Art) zu fördern, sondern auch die Allgemeine Entwickelungslehre im weitesten Sinne. Mit einer Geschichte derselben, in mehreren Bänden, ist Dr. Heinrich Schmidt schon seit mehreren Jahren beschäftigt. ||
Durch Einverleibung Ihrer eigenen wertvollen Sammlung würde mein Phyletisches Archiv selbstverständlich einen sehr dankenswerten Zuwachs erhalten. In der betreffenden testamentarischen Bestimmung (mit juristischer Gültigkeit) können Sie alsa Erben Ihrer Sammlung entweder die Universitäts-Bibliothek in Jena oder das dazugehörige Phyletische Archiv (– auch offiziell als „Ernst-Haeckel-Archiv“ bezeichnet –) angeben. Die Kosten der Verpackung und des Transports würden von der „Ernst-Haeckel-Stiftung“ getragen werden, welche auch die neue Einrichtung bestritten hat.
Sollten Sie Neigung und Gelegenheit haben, in nächster Zeit noch einmal selbst nach Jena zu kommen und sich persönlich von den hiesigen Verhältnissen ein anschauliches Bild zu erwerben, so würde mich dies ganz besonders erfreuen.
Mit freundlichen Grüssen und besten Wünschen
Ihr alter Lehrer
Ernst Haeckel.
a eingef.: als