Potsdam 15 April 72
Meine liebste Agnes!
Gestern, Sonntag, war hier so unruhig, daß ich nicht einen freien Augenblick zum Schreiben fand. Den Morgen ganz früh kam mein Bruder und wir verbrachten den ganzen Vormittag mit Aufhängen der Bilder. Zu Mittag kam die ganze Familie meines Bruders zum Essen und blieb bis zum Abend hier.
Die Wohnung meiner Mutter (Schockstr. 30/31) ist sehr hübsch und gefällt mir ausnehmend. Sie ist parterre, in einer ziemlich stillen Straße, 2 zweifenstrige Stuben und eine einfenstrige Kammer von hinaus. || Hinten hinaus Küche, 2 fenstrige Schlafstube und zwei einfenstrige Kammern. Dabei zahlt sie nur 200 rl Miethe, für Potsdam sehr wenig.
Meine gute Mutter fand ich noch etwas marode von dem Umziehen und Einräumen, sonst aber wohl. Mein Bruder nebst Familie ist munter und sieht in 14 Tagen in sein neues Haus. Alle bedauerten sehr, daß ich Walterchen nicht mitgebracht hätte! ||
Die Reise ging gut von Statten. Vormittags war das herrlichste Frühlingswetter, fast zu heiß. Nachmittags wurde es kalt, stürmisch und unfreundlich, und war auch gestern so. In Magdeburg verplauderte zwei Stunden mit meinem alten Lehrer Freunde Gude.
Übermorgen (Mittwoch) gehe ich auf drei Tage nach Berlin. Mit meinem Herzen geht es besser. Die Reise und das Bewußtsein, die tägliche Arbeitsplackerei los zu sein, hat mir sehr gut gethan. ||
Du befindest Dich hoffentlich mit unsern beiden süßen Knospen recht gut.
Wenn Du mir noch nicht geschrieben hast, adresse Deinen Brief nach Berlin:
Fräul. Bertha Sethe, Dessauerstr. 35, parterre.
An die Mamma, der es hoffentlich besser geht, herzliche Grüße.
Meine Mutter grüßt freundlichst.
An Dich, Walter und Lisbeth herzlichste Grüße und Küsse von Deinem treuen Ernst.
P.S. Die Briefe hebe mir sorgfältig auf!