Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 27. Oktober 1866, mit Beischrift von Carl Gottlob Haeckel
Berlin, d. 27sten
October 1866.
Mein lieber Ernst!
Eben habe ich Deinen Brief erhalten, der mich sehr erfreut hat, da ich daraus sehe, daß es Dir in London so gut geht. Siehst Du, da hatte Deine alte Mutter doch immer recht, wenn sie wünschte, Du sollst mal nach England gehn. Daß Du Darwin gesehn hast, freut mich, und ich bin gespannt auf die nähere Beschreibung Deines Besuchs bei ihm, die wird wohl in der Quarantäne fabriciert. Lieb ist es mir, daß Professor Greef mit Dir reist, und daß Du dort auch Foll und den Russen triffst. || Daß Du so angenehm in London in der Wohnung der Frau Schwab lebst, freut mich; vergiß nicht bei Deiner Abreise den drei dienstbaren Geistern ein anständiges Trinkgeld zu geben, Du mußt Dich da nach englischer Sitte richten. Wahrscheinlich hast Du wohl unseren Brief erhalten, der sich mit Deinem gekreuzt hat; und da wäre es wohl überflüssig, daß ich noch einmal schreibe, da ich nichts besonderes zu berichten habe; aber wenn er verlohren gegangen ist, so wäre es mir doch unangenehm, || wenn Du London verliessest ohne noch einen besonderen innigen Gruß von Deiner Alten zu haben, die Dich ja so lieb hat. In dem Brief schrieb ich Dir auch daß Professor Endemann um Erlaubniß bei mir bat eine Stube von Dir den Winter zu benutzen, gieb mir oder direckt nach Jena darüber Antwort. –
Gleich nach Empfang Deines Briefes theilte ich Gertrude und Frau Professor Weiß denselben mit, beide grüssen Dich herzlich, und letztere trug mir auf Dir zu schreiben, daß sie Dich sehr lieb habe. Nun werde ich noch Heinnrich, den || ich zu Mittag erwartte, Deinen Brief mittheilen, und ihn dann gleich nach Landsberg schicken. Tante Bertha ist noch dort, sie schrieb mir gestern, daß ausser Schnupfen alles wohl sei. Ach, unser armer Karl; mir ist es sehr lieb, daß er doch nun Bertha bei sich hat, mit der kann er ja so recht von seiner Mimmi sprechen. Doch was hilft, das Klagen, wir müssen ja immer mehr lernen mit Ergebung unser Schicksal zu ertragen. – ||
Vorgestern brachte nun uns Georg Reimer den ersten Theil Deines Buches, schönen Dank! Wie gut, daß es fertig ist. Die Widmung habe ich mit Interesse gelesen; sonst werde ich sehn, wie viel vom Ganzen ich verstehn kann; warum erwähnst Du aber Deiner Eltern? Hast Du, mein lieber Ernst, in London auch versucht, Erkundigungen einzuziehen, ob der alte Herr noch lebt, der Dich in der Schweitz so freundlich eingeladen hat, bei ihm in London zu wohnen? ||
Nun leb wohl, mein Herzens Ernst! Gott sei mit Dir.
Behalte lieb
Deine
Dich so innig liebende
Mutter Lotte
[Beischrift von Carl Gottlob Haeckel]
Ich habe in den letzten Tagen ganz in China und ins besondere in Canton gelebt. Die englische Compagnie in Ostindien treibt dort einen großen Handel und wenn man dieses handeltreibende praktische Volk überall in seinen Colonien verfolgt, so darf man zuletzt über die Größe Londons, wo sich alles hin concentrirt, nicht erstaunen. Die Engländer sind doch ein merkwürdiges Volk, ganz praktisch und dabei doch zugleich in höchstem Grade aristokratisch. Wären sie bloße Kaufleute, so würde diese eigenthümliche Erscheinung Englands nicht möglich sein. Es würde ihm der großartige Sinn fehlen. So aber ist es überall auf der Erde zu Hause und behauptet doch zugleich überall seine Eigenthümlichkeit. Es kann aber in dieser Präponderanz doch nicht fortbestehn, je mehr sich Nordamerika und Deutschland entwickelt. Denn Norddeutschland ist ganz für den Welthandel geeignet, die Hafenstädte haben bisher schon einen bedeutenden Verkehr nach England, und Nordamerika betrieben und ihn in neuester Zeit bis Australien erweitert. England kann nicht mehr das Monopol des Welthandels behalten, wird aber immer eines der bedeutendsten Glieder deßelben schon durch den Besitz Ostindiens bleiben. Sieht man alle diese Verhältniße Englands näher an, so wird man auch a über die Verhältniße b Londons nicht mehr erstaunen, man wird sie erklärlich finden. – Ich sitze jetzt ganz tief in Ritters Erdkunde, die zwar höchst geistreich ist, in der man sich aber alles Zusammengehörige förmlich zusammen lesen muß, weil es in den 6 Theilen seiner Erdkunde überall verstreut ist.
Nun siehe Dich nur recht in London um und orientire Dich recht und gieb uns vor Deiner Abreise noch weitere Nachricht.
Dein Dich liebender Vater
Hkl
a gestr.: di; b gestr.: E