Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 1./2. Juli 1853
Berlin 1/7 53
Mein lieber Herzens Sohn!
Wenn ich Dich auch heute nicht bei mir haben kann, so weiß ich doch, daß wir im Geiste aufs innigste vereint sind, und es ist mir Bedürfniß Dir ein paar Worte zu schreiben, und Dir meinen herzlichsten Dank zu sagen für die vielen Liebeszeichen, die ich von Dir erhalten. Schon gestern kam Dein Kistchen an, ich packte es nicht aus, nahm mir nur Deinen lieben, herzigen Brief heraus. Zürne nicht, daß ich ihn schon gestern gelesen; das war eine schöne Freude; || daß ich mich den ganzen Tag mit Dir beschäftigt. Ich habe viel Ursache zum Dank gegen Gott für viele gute Gaben; aber zu meist danke ich ihm, daß er mich durch so liebe Kinder beglückt hat, und bitte ihn um Seegen für sie. – –
Den 2ten
Gestern konnt ich nicht weiter schreiben, nun muß ich Dir zunächst sagen wie wir den Tag verlebt haben. Gleich nach dem Aufstehn packte ich mit Vater Dein Kistchen aus; und wir || freuten uns recht über alles. Daß Du an den Wein gedacht machte uns Spaß; am meisten freuten wir uns aber über die netten Zeichnungen. Auch die Blumen machen mir Freude; es waren die ersten, die ich gestern bekam; Tante Bertha schickte mir als wir beim Frühstück saßen durch Bertha und Mariechen 2 Töpfchen. Als Vater vom Wassertrinken kam, baute er orndlich auf: von sich und Karl eine sehr schöne Biebel mit Erklärungen; || von Tante Bertha einen Kragen mit Nadeln, ein paar weiße und 1 paar schwarze Aermel und gebratene Mandeln; von Tante Gertrude auch 1 Kragen und 1 paar Aermel. Dann ging ich zu Tante Bertha um zu danken; unterdessen war das Kistchen aus Ziegenrück angekommen, ausser lieben Briefen bekam ich von Mies ein paar gestickte Schuh und selbst gebacknen Kuchen. Karl u. Hermine sind gesund u. munter. ||
Heinrich und Theodor kamen gratulieren, und nachmittags Lehneke Naumann mit einem großen Blumenstrauß; Bertha u. Mariechen brachten von ihrer Mutter auch einen sehr hübschen Strauß in einer kleinen Tonvase.
Die drei Mädchen tranken hier Kaffee. Abends spielte Tante Bertha und ich mit Großvater Tarock; dann kam Vater, Onkel Julius mit seinen beiden Söhnen und Theodor hin; ich hatte eine von den beiden Weinflaschen mitgenommen, und da || wurde dein Geschenk versucht und sehr gut befunden; Großvater machte es viel Spaß. Man kann aber nicht viel davon trinken, der Wein ist sehr stark; ich nahm die Flasche wieder mit zu Hause und heute Mittag hat Vater sich wieder ein halbes Glas gut schmecken lassen. Tante Adelheid bessert sich, seit gestern ist sie aus dem Bette; ihr Kindchen ist aber leider schon heute vor 8 Tagen gestorben || und Dienstag früh begraben. Das ist wohl recht traurig, aber wir müssen ja Gott danken, daß Tante Adelheid wieder besser wird.
Wenn Du nicht früher abreisen kannst, so bleibt es eben hoffe ich beim 13ten August, soviel ich bis jetzt habe erfahren können, wirst Du dann am 14ten in Rheme eintreffen, ich werde dann mich auch so einrichten, daß ich den 14ten in Rheme ankomme; wir || treffen uns dann auf dem Bahnhof. Dabei fällt mir ein, hast Du auch wohl zur Reise Geld genug oder soll ich Dir noch was schicken? Mußt Du auch noch Kleidungsstücke besorgt haben, dann schreibe nur was? Ich werde Vaters Mantel für Dich mitbringen; und von den Büchern wovon Du schreibst, die ich auftreiben kann. – Wie sehr freue ich mich auf die Zeit, die ich mit Dir verleben werde.