Marie Eugenie delle Grazie an Ernst Haeckel, Wien, 2. Februar 1906
Wien, 2. Februar 1906.
Hochverehrter Meister!
Endlich ein ruhiger Tag, eine friedsame Stunde, die mir die lang ersehnte Gelegenheit gibt, Sie wieder einmal im Geiste zu besuchen. Auch mit einem Worte bei dem einzukehren von dem so oft und so viel bei uns gesprochen wird.
Vor allem und zunächst herzlichsten Dank für all’ || Ihre lieben Sendungen. Ich brauch’ Ihnen wohl nicht zu sagen, wie sehr uns Alles bewegt und interessirt was von Ihnen kommt und zu Ihnen führt. Und hätten Sie die Güte, auch durch ein paar Zeilen wieder etwas von sich hören zu lassen, wär’ ich ganz beruhigt, denn dann wüßt’ ich doch auch, wie es Ihnen sonst geht. –
Freund Müllner war augenblicklich etwas unwohl, hat sich aber wieder tapfer aufgerappelt. || Die Schaar seiner Hörer hat gegenwärtig das achte hundert überschritten. Da muss der Professor wohl oder übel gesund bleiben. Sonst geht Alles seinen stillen ruhigen Gang bei uns. Viel Arbeit – noch mehr Träume. Dann und wann eine stille Plauderstunde in der Kaminecke, die sich mit Zukünftigem beschäftigt oder Vergangenes wieder aufleuchten lässt. Wie gern und oft wir da der Tage gedenken, die Sie in Wien und || Salzburg mit uns verbracht, können Sie sich denken. Und dann haben wir immer nur einen Wunsch: Sie wieder einmal bei uns zu sehen –!
Sollte das Jahr 1906 die Möglichkeit einer Synthese des Eiweißes wirklich um so viel näher gerückt haben? Welch’ ein Triumpf wäre das aucha für Sie! Welch ein schönes Abendrot nach so langen u. stürmischen Kämpfen!
Herzlich u. in alter Treue u. Ergebenheit grüßt Sie
Ihre
M. E. delle Grazie.
a eingef.: auch