Ernst Haeckel an Richard Hertwig, Jena, 28. Februar 1917
Jena 28.2.1917.
Lieber Freund!
Ihr freundlicher Glückwunsch zum meinem 83. Geburtstage hat mich am 16.2. sehr erfreut; Herzlichen Dank! Dabei sind wieder so viele schöne alte Erinnerungen an die engen Beziehungen lebendig geworden, die uns seit 50 Jahren erfreulich verbinden, Jena und München, Lesina und Corsica, und besonders mein 60. Geburtstag 1894. Wie Vieles hat sich seitdem geändert! Und nun haben wir am Ende noch das zweifelhafte Glück, die größte Katastrophe der Weltgeschichte durchhalten zu müssen, deren schmerzliche Erfahrungen ja auch Ihnen, ebenso wie mir, vielfach nahe getreten sind. Hoffentlich bringen unsre trefflichen U-Boote uns in einigen Monaten den deutschen Sieg und Frieden! || Es hat mich gefreut zu hören, daß Ihr Sohn Otto in Carcassonne in französischer Gefangenschaft verhältnismäßig gut sich befindet und als Architekt sich weiter bilden kann; hoffentlich kehrt er bald ganz genesen zu Ihnen zurück.
Ich lebe seit 6 Monaten sehr still; meine älteste Enkelin Else Meyer, die seit dem Tode meiner Frau durch 1½ Jahre mir eine liebe Hausgenossin war, überraschte an ihrem 22. Geburtstag (am 22. September) ihre Eltern und mich durch die Mitteilung, daß sie seit 2 Jahren heimlich verlobt sei, mit einem Architekten Rudolf Hantzsch, 26 Jahr, Sohn des Leipziger Chemikers. Neujahr haben sie geheiratet („Kriegstrauung“ in Leipzig) und machen jetzt in Fürth, wo Rudolf als „Flieger-Leutnant“ und Adjunkt an der Fliegerschule 3 angestellt ist. ||
Else hatte ein ganzes Jahr hindurch Ihre und meine Radiolarien eifrig studiert (– mit großem Interesse und Verständnis –) und eine hübsche populäre Naturgeschichte der „Strahlinge“ geschrieben. Das fertige Manuscript kann leider nicht gedruckt werden, wegen Mangel an Papier und Arbeitskräften.
– Der Mangel an Kohle und an Fett und Fleisch macht sich auch hier jetzt sehr fühlbar; doch habe ich meine alte Köchin, die gut für mich sorgt.
Mit herzlichen Grüßen an Sie und die Ihren
treulichst Ihr alter
Ernst Haeckel.
P. S. Am 7. März begehe ich mein letztes Jubiläum, den 60jährigen Dr. med. ich nehme anticipando Ihren Glückwunsch stillschweigend voraus, damit Sie sich nicht noch einmal schriftlich bemühen!