Ernst Haeckel an Herman George Scheffauer, Jena, 28. August 1916
Jena 28.8.1916.
Lieber Freund!
Wegen der „Vierzehn Briefe Christi“, die Sie mir heute sandten, können Sie sich beruhigen! Der Verfasser, Architekt Johannes Baader (aus Schwaben) etwa 40 Jahre alt, ist ein harmloser Narr und befindet sich seit Jahren in psychiatrischer Behandlung. In seinem reich begabten Gehirn tanzen alle möglichen (– monistische und dualistische –) Vorstellungen ungeordnet durcheinander: Profane Kenntnisse und religioeser Wahnsinn – biologische Erfahrungen und theologische Träume! Grössenwahn, Menschenliebe und Gottesfurcht. Der gute Mann widmete mir seine wunderliche „Metachemie“ zu meinem 80. Geburtstage in der wohlwollenden Absicht, mir damit eine besondere Freude zu bereiten; in der Tat habe ich herzlich darüber gelacht! (– und die „Offenbarung Johannis“ verglichen! –) Vor einer halben Jahre besuchte mich Herr Baader (–entfernt verwandt mit dem närrischen Religionsphilosophen Franz Baader, ebenfalls aus Schwaben –) und gab mir Gelegenheit, die wunderlichen Gedankengänge seines lebhaften und wissensreichen (– aber gänzlich unkritischen! –) Gehirns persönlich kennen zu lernen.-
Dass ich als Mitglied das „Unabhängigen Ausschusses für einen Deutschen Frieden“ dem von Professor Dietrich Schäfer (Berlin, früher Jena) verfassten Aufruf „An das Deutsche Volk“ mit unterzeichnet habe (am 23.8.) werden Sie aus den Zeitungen dieser Tage ersehen haben.
Mit herzlichen Grüssen an Sie und Ihre liebe Frau Gemahlin
treulichst
Ihr alter
Ernst Haeckel.