Hamann, Otto

Otto Hamann an Ernst Haeckel, Göttingen, 11. Mai 1886

Goettingen 11. Mai 86.

Hochverehrtester Herr Professor,

Das Maiheft von „Nord und Süd“ mit der Schilderung Ihres Lebens hat mich von Neuem angespornt zur Arbeit. Es kommt mich manchesmal an zu erschlaffen, und dann schiebe ich es auf die hiesigen Verhältnisse, statt in mir den Grund dafür zu finden. In Vielem sind aber auch die hiesigen Verhältnisse gar zu trostlos. Kein Aussprechen mit seinen Fachgenossen ist möglich. Davon will man nichts wissen. Und wenn man es doch versucht, so findet man || nur widerwärtiges Absprechen über jede Leistung die ein anderer getan hat. Sich selbst hält jeder für einen Gott, der es nicht nötig hat nach Anderen zu fragen. – Mit der Zeit wird man aber Alles gewönt und mein Fell wird täglich dicker. –

Die Radirung von Krauskopf finde ich bis auf die Augen recht gut. Ja wer diese aber auch widergeben könnte, wie sie im Leben blicken! In der Schilderung Ihres Lebens hätte ich Manches anders gemacht. Mir scheint als wenn Krause die Fähigkeit sich zu begeistern gänzlich abginge.

Heute steht in der Berliner Post von einem Vermächtnis eines Herrn Ritter. Ist dem so, so || wünsche ich, dass Sie rechte Freude durch das Vermächtnis haben mögen! Es muss ein Hochgefül sonders gleichen sein, nach so vielen gemeinen und vom Neid eingegebene Anfeindungen seiner Collegen endlich von vorurteilsfreien und unparteiischen Männern so geehrt und anerkannt zu werden! – Das Semester hat mager begonnen. Ehlers hat fast nur Mediziner im Colleg. Die wenigen Naturwissenschaftler sind Chemiker durch Victor Meyer angezogen. Im Praktikum (4stündig) hat Ehlers 2 ganze Mann! Im Privatkolleg habe ich 6 Mann. Pf. Lange, dem ich Grüße ausrichtete, hat etwa 8 oder 9 Mann! Für hiesige Verhältnisse sehr viel. Es giebt || Ordinarien, wie Koenen, der Paläontolog, die 4 Studenten im Hauptkolleg haben. Was nicht unumgänglich notwendig ist zum Examen, hören die Leute hier nicht. Dafür sind freilich diejenigen, die einmal bezalt haben und hören, desto fleißiger. Im Winter hatte ich im Parasitenkolleg 2stündig, 14 Mann, von denen bis zu Ende konstant 9 aushielten und niemals gefehlt haben.

Ich arbeite an Echiniden weiter. Herbst übers Jar denke ich mit einer großen Arbeit fertig zu sein, die Anatomie, Histologie einige Ontogenie und vor allem Phylogenie umfassen soll. – Dr. Lang bitte ich zu grüßen und zum baldigen Extraordinarius Glück zu wünschen. Meine Frau lässt sich Ihrer Frau Gemalin und Ihnen empfehlen! Dasselbe tut

Ihr treuer

Otto Hamann.

 

Letter metadata

Author
Recipient
Dating
11.05.1886
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 30886
ID
30886