Göttingen, 1.VI.83.
Hochverehrtester Herr Professor,
Obgleich ich weiß, dass fast jede Minute des Tages bei Ihnen besetzt ist und deshalb wenig Zeit für Briefe lesen vorhanden ist, so erlaube ich mir dennoch ein par Zeilen zu schicken, da es mir Bedürfnis ist.
Zunächst möchte ich vor allem Dank sagen für dass [!] volle Kolleg, welches ich nur Ihnen allein danke!
Die erste Vorlesung begann ich vor 12 Zuhörern. || Die Zal hat sich vor Pfingsten auf über 20 Mann gesteigert. Belegt haben ungefär 22; genau weiß ich es leider nicht, da ich versäumt habe die einzelnen beim testiren mir aufzuschreiben. Belegbogen wie in Jena existiren hier nicht. Die meisten oder vielmehr alle haben belegt, um Pf. Haeckels Schüler zu hören. Ich gebe mir sehr viel Mühe und übe jeden Vortrag genau ein. Den Vortrag selbst sowie die ganze Behandlungsweise habe ich so eingerichtet, wie ich es von Ihnen gelernt und gesehen habe. An 50 Tafeln habe ich teilweise selbst in den Ferien gezeichnet, teilweise von einem Bürgerschüler für wenig Geld malen lassen. – Wieviel ich noch zu lernen habe, merke ich jetzt am besten. Viel Zeit || geht verloren mit den Vorbereitungen für die Vorlesungen; aber ich habe auch viel Vergnügen am Vortrage selbst.
Dr. Brock hält einen histologischen Kursus, in welchem er eine Stunde vorträgt und in der andern Präparate zeigt. Leider hat er nur 2 Zuhörer. –
Auf die letzte Brandtsche Arbeit in den Neapler Mitteilungen werde ich im Zoologischen Anzeiger antworten. Der Mensch ist aber auch gar zu frech!
Die zweite Arbeit von Herrn Zickeli habe ich gelesen. Es wundert mich, dass er meine Arbeit, die doch im Sommer 1882 erschienen ist, so wenig berücksichtigt, was übrigens auch mit anderen Arbeiten der Fall ist. In seiner ersten || Publikation von Dezember vorigen Jares beschreibt er eine Anzal von Sachen, die ich längst beschrieben habe, so entodermale Drüsenzellen u. anderes. Ich denke bei Gelegenheit ihn darauf aufmerksam zu machen.
Gern wäre ich zu Pfingsten auf einen Tag nach Jena gekommen, doch da ich mich, hierher zurückgekehrt, jedesmala desto vereinsamter füle, unterlies ich es.
Das neue Institut wird nun wol bald bezogen werden! Ich denke oft daran und nehme in Gedanken Teil am Einräumen.
Dass Prf. Hertwig nach Bonn berufen ist, erfare ich aus dem heutigen Jenaischen Blättchen. Ich freueb mich sehr darüber.
Hier vergeht ein Tag wie der andere, einer langweiliger wie der andere!
Indem ich für die Störung um Entschuldigung bitte bleibe ich
Ihr dankbarer
Otto Hamann
Ich bitte mich Frau Gemalin zu empfehlen!
a eingef.: jedesmal; b korr. aus: freuen