Willy Kükenthal an Ernst Haeckel, Jena, 28. Oktober 1895
PROF. DR. W. KÜKENTHAL
JENA.
Jena d. 28.Oct. 95.
Sehr verehrter Herr Professor!
Eben erhalte ich Ihren Brief. Ich war natürlich ebenfalls sehr erfreut zu hören, daß Herr Dependorf nicht Maturus ist. Als ich von meiner letzten Reise zurückkam, fand ich ihn bereits im Laboratorium vor, und es wurde mir ausdrücklich – wenn ich nicht irre, sogar von Ihnen – gesagt, daß er das Abiturexamen gemacht hätte.
Es ist gewißlich sehr richtig von der Fakultät gehandelt, wenn die Bedingung der Maturität für Erlangung des Doctors rigoros gehandhabt wird, ich habe aber gehört, daß Pharmaceuten, die ihr Staatsexamen mit einer guten Note gemacht haben, auch zum Doctorexamen Zulassung finden.
Dependorf hat nun sein Staatsexamen mit der Note 1 bestanden, und man könnte sagen, || was dem einen recht ist, ist dem anderen billig, und außerdem war Dependorf ein zwar nicht besonders intelligenter, aber doch sehr fleißiger und gewissenhafter Schüler von Ihnen und mir. Das Beste wird daher wohl sein, wenn Sie nach Ihrer Ankunft in Jena einmal mit ihm sprechen, und dann Ihren definitiven Entschluß fassen.
Ganz ähnlich liegt der Fall mit dem Assistenten im Thierärztl. Institut, Herrn Müller, der Ihre Collegs besucht und beide zoologische Practica, wie ich höre, mit großem Fleiße durchgearbeitet hat. Er hat sich bei mir im Laboratorium als ganztägiger Practicant gemeldet, und ich hatte natürlich keinen Grund ihn zurückzuweisen. Als er mir erklärte, daß er nicht Maturus sei, aber das Doctorexamen gern machen möchte, || habe ich ihn auf Sie verwiesen. Auch er hat ein gutes Staatsexamen gemacht.
Mit Dieger lassen sich beide Leute deshalb nicht gut vergleichen, weil dieser noch geringere Schulbildung genossen hatte, und weil beide Candidaten im Besitze von Staatsexamens-Zeugnissen sind.
Donnerstag will ich mein Colleg beginnen; ich habe mich aus practischen Gründen nicht dazu entschließen können, den Anfang auf Montag zu verlegen, da derartige Schiebungen zu Beginn des Semesters sehr bedenklich sind, und der Herr Studiosus vorziehen dürfte, überhaupt nicht zu erscheinen. Außerdem ist mir jetzt jede freie Stunde wichtig, da ich nicht weniger als 4 Druckbogen wöchentlich erhalte; ich will mich freuen, wenn das Buch erschienen ist. ||
Etwas Neues ist von hier nicht zu melden. Meine Gattin ist recht wieder aus Coburg zurückgekehrt und die schreckliche Strohwitwerzeit ist nun zu Ende. Sie läßt sich Ihnen und Ihren Damen vielmals empfehlen.
Daß Ihre Genesung so gut von Statten gegangen ist, ist höchst erfreulich.
Auf frohes Wiedersehen!
Ihr getreuer
W. Kükenthal.