Kühne, Willy

Wilhelm Kühne an Ernst Haeckel, Berlin, 8. Januar [1863]

Berlin d. 8ten Jan. 62.

43. Kanonierstrasse.

Mein lieber Haeckel.

Ich schreibe Ihnen heute, um mich zunächst bei Ihnen und Ihrer hochverehrten jungen Frau für mein Ausbleiben nach Ihrer letzten freundlichen Meldung zu entschuldigen. Wir hatten an dem vorangehenden Mittag ein Diner bei welchem ich so viel vom edlen Naß zu mir zu nehmen genöthigt war, daß ich nicht wagen mochte Sie zu Zeugen meiner pathologischen Heiterkeit zu machen, und darum den Besuch unterließ. Es thut mir herzlich leid somit das Vergnügen entbehrt zu haben Sie noch einmal wieder zu sehen; Junge Ehemänner sind allerdings eifersüchtig, aber ich kann nicht || umhin hinzuzufügen, daß ich noch mehr bedaure Madame nicht meine Aufwartung gemacht zu haben. Empfehlen Sie mich also derselben angelegentlichst.

Zweitens: – der Mensch muß doch immer ein bischen Egoist sein – „Kann man in dieser Jahreszeit im Thiergarten Amoeben und Actinophrys fischen“? Ich brauche die Bestien nothwendig. Denn mit Schultzes elenden Milioliden kann man Nichts machen. Die sind zu undurchsichtig, und wenn sie ihrea Mucken haben stecken sie die Pseudopodien nicht heraus. Was sie drinnen dann mit ihrer Schmier machen kann man natürlich nicht sehen. – Sollte man Actinophrys und Amöben jetzt nicht fangen können, so würden Sie mir vielleicht irgend ein Individuum nennen können, das dergleichen zieht, verschickt, || verkauft oder verschenkt. Kennen Sie de Bary. Meine Myxomyceten sind mir jetzt gerade, wo ich sie so sehr brauche ausgegangen, und Cienkowsky habe ich schon so geschunden, daß ich ihn garnicht mehr um Material angehen mag. Sollte man auf Umwegen vielleicht was von de Bary bekommen können? – Ich lasse die Myxomyceten mit Wasser im Zellenzustande fein aufgeschwemmt nämlich sich in mit Spiritus und Wasser ausgewaschenen Insektendärmen entwickeln. Da haben sie nun also den künstlichen Muskel, der sobald ich wieder Material habe was vergegenwärtigen soll. Kennt man erstmal die chemische Zusammensetzung der Sarkode, so sehe ich nicht ein warum man dann nicht auch ganz künstliche Muskeln machen soll.

Ich habe bei Cienkowsky ihren Artikel über Sarkode in Ihrem Werke gelesen, und danke Ihnen für den Genuß. Ich lese solche in entschiedener Bräutigamslaune geschriebene Arbeiten gern, demonstriren sie auch, wie || leicht ich mich in diese Stimmung hineinfinde.

Grüßen Sie Bezold nachträglich – wir telegraphirten ihm schon zu seinem Geburtstage. Mein herzinnigster Gruß muß diesmal fehlen, da mich die Zeitungen von dem Ableben Lehmanns in Kenntniß setzten. Nun nach dem Tode soll der Groll schweigen; er erlebt also die Charade nicht an seinen Blutkrystallen, die faktisch niemals farblos werden, sondern immer schöner roth, so öfter man sie umkrystallisirt.

Ihr freundschaftlichst ergebener

Kühne

a korr. aus: Ihre

 

Letter metadata

Author
Recipient
Dating
08.01.1862
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 28344
ID
28344