Müller-Lyer, Franz

Franz Müller-Lyer an Ernst Haeckel, München, 24. März 1916

München, Clemenstr. 5, den 24. März 1916.

Ew. Exzellenz

beehre ich mich, über die letzten Ereignisse im Monistenbund folgende Mitteilungen zu machen:

Als Ende Februar eine Hauptversammlung des Bundes stattfinden, verlangte das Münchner Generalkommando von mir die Garantie dafür, dass auf der Versammlung keinerlei Erörterungen politischer oder pazifistischer Natur gepflogen würden, die in die Zeitungen durchsickern könnten. Nach den Erfahrungen der letzten Leipziger Tagung ist es m. E. ganz unmöglich, eine solche Garantie zusagen zu können. Denn bei der Heftigkeit der Gegensätze gibt leicht ein Wort das andere, fernera hatb auf diesen Versammlungen jeder Monist das Recht, seinec Ansicht zu sagen, und ich kann das Wort einem Redner erst dann entziehen, wenn er bereits gegen das Verbot des Generalkommandos sich verfehlt hat. Die Erfahrung hat auch gezeigt, dass alles, was auf unsern Versammlungen gesprochen wird, sofort in die Öffentlichkeit gelangt und dann von unsernd vielen und erbitterten Feinden gegen uns ausgebeutet wird.

Unter diesen Umständen hielt ich es vor allem für meine Pflicht zu verhüten, dass während des Kriegs eine Versammlung des D.M.B. von der Militärbehörde geradezu verboten würde. Da-||durch wäre dem Bund ein Makel angeheftet worden, der für lange Zeit unserer Tätigkeit schädlich geworden wäre.

Aus diesen Erwägungen musste ich fünf Tage vor der Versammlung diese absagen.

Nachdem uns nun die Erörterung aller tieferen Fragen unmöglich gemacht worden war, konnte es sich nur noche darum handeln, die unbedingt notwendigen, rein geschäftlichen Angelegenheiten zu erledigen. Dazu gehörten vor allem die sofortige Schaffung eines Nachrichtenblattes, ohne das der Bund nicht leben und nicht zusammengehalten werden kann;f dahin gehörte ferner die Beschlussfassung über den Mitgliederbeitrag und die Wahl des 11. Vorsitzenden.

Um diese Punkte zug erledigen, war eine Hauptversammlung überflüssig und konnte unter Umständen sogar zu einer Spaltung führen. Ich schlug daher dem Gesamtvorstand dieh schriftliche Erledigung vor und entwarf ein Provisorium, dessen Billigung uns über alle Schwierigkeiten hinweggebracht hätte.

Diesem Vorschlag stimmten sechs Vorstandsmitglieder nicht zu, sie waren mit der Geschäftsstelle unzufrieden und wünschten, dass diese von München nach Jena oder Berlin verlegt würde. (Obgleich eine solche Verlegung auch ihre grossen Vorteile hätte, so ist sie aber während des Krieges schwierig || und wahrscheinlich unmöglich, da die staatlichen Behörden in Jena und Berlin kaum unserm Bund, wie mir von juristischer Seite gesagt wurde, die Konzession als E. V. gewähren werden.) Die erwähnten Vorstände schlugen also aufs neue eine Hauptversammlung vor und diese wurde nun durch die Mehrheit auch beschlosseni. Da ich nun unter den gegebenen Umständen nach wie vor eine solche Versammlung für nicht im Interesse des Bundes erachte, auch glaube, dass durch mündliche Verhandlung die augenblicklichen Leidenschaften nur von neuem aufgeregt werden und die Gefahr einer Spaltung drohen kann, so werde ich mein provisorisches Amt in die Hände der Versammlung zurücklegen; selbstverständlich aber möchte ich dem Bunde nach besten Kräften weiter dienen (nur nicht in dem Amt eines 1. Vorsitzenden, wofür ich mich nicht für geeignet halte und das ich in Leipzig nur unter dem Druck einer drohenden Spaltung übernommen habe). Denn ich halte das Grundprinzip des D.M.B. für unbedingt unverwüstlich und habe die feste und begeisterte Ueberzeugungj, dass es früher oder später siegen muss.

Am meisten wäre dem Bund gedient, wenn Ew. hochverehrte Excellenz in der Lage wären, ihm einen 1. Vorsitzenden vorzuschlagen, der dafür die geeignete Persönlichkeit wäre.

In dieser Hoffnung und mit dieser Bitte verbleibe ich

Ew. Exzellenz verehrungsvoll ergebener

Dr. F. Müller-Lyer.

a korr. aus: fern; b korr. aus: aht; c korr. aus: sein; d korr. aus: unser; e korr. aus: nach; f korr. aus: , ; g korr. aus: zur; h korr. aus: doe; i korr. aus: beschossen; j korr. aus: Uebezeugung

 

Letter metadata

Recipient
Dating
24.03.1916
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 24893
ID
24893