Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Saarbrücken, 2. Mai 1862
Saarbrücken d. 2. Mai 1862.
Lieber Freund!
Nach den wiederholten Nachrichten, daß Du die Absicht gehabt, an mich zu schreiben, darf ich’s wohl riskiren, 2 Zeilen an Dich zu richten, die – wie leicht zu vermuthen – eine Bitte enthalten, nämlich die, mir zu schreiben, aber nicht aus freundschaftlichem, sondern aus wissenschaftlichem Interesse. Zwar wird es viel von mir verlangt sein, daß Du Dich um die wissenschaftlichen Fragen, die mich beschäftigen, bekümmern sollst, denn Du wirst denken, was gehen mich Krystalle u. Steine überhaupt an, der ich mein Leben an die Erforschung des Lebendigen setze! Aber, Freund, glücklicher Weise ist’s diesmal nicht so arg: von Krystallen ist gar nicht, von Steinen nur mittelbar, in der That nur von untergegangenem Leben die Rede. Seit ich hier in Saarbrücken bin, habe ich auch Paläontologie treiben müssen; es ist in der That für Jeden Pflicht, der es vermag; denn es steckt hier noch manches Wissenswerthe. Aber Du weißt, ich bin weder Zoolog noch Botaniker, hänge also in dem, was ich darin thun will, von Solchen ab. Und daher wende ich mich in einer Frage an Dich mit der Bitte um Aushülfe. Nördlich von Saarbr. liegt Lebach, ein Städtchen, in dessen Nähe eine Menge Fische u. Amphibienreste der sogen. oberen Steinkohlenformation oder, wie Andere wollen, permischen Formation (Äquivalent vom Zechstein) vorkommen. Mit dieser Gegend beschäftige ich mich, um wo möglich einige Streitfragen zum Austrag zu bringen. Zu diesen gehört als Gegenstand der dort || vorkommende Archegosaurus, der zwar den Meisten gründlich durch H. v. Meyer behandelt erscheinen wird, in dessen Abhandlungen aber durch Quenstedt ein Loch gestoßen ist. So wenig ich nun im Stande sein würde, eine Arbeit wie die Meyer’sche zu liefern, so dürfte es doch möglich sein, Einzelheiten auszumachen, die das Bild, was wir jetzt haben, rektificiren oder vervollständigen. Dahin gehört die Frage, ob der Achegosaurus knorpelige oder knöcherne Wirbelkörper gehabt habe. Meyer ist fürs Erstere, Quenstedt fürs Letztere; ich habe Exemplare, die sich geradezu zu widersprechen scheinen. Du wirst aber als Zoolog gleich die Frage Dir so verdolmetschen, ob jenes beinahe älteste Amphibium ein unvollkommenes (Meyer) oder höher organisirtes (Quenstedt) war. Nun geht meine Bitte an Dich dahin, mir Theile einer größeren beschuppten Eidechse zu verschaffen: Wirbel mit Bezeichnung der Theile (oben, unter Bogend u. Fortsätze), e mit u. ohne Rippen, Haut mit Bedeckung, (zunächst für mich am interessantesten die Rippen) etc.
Solltest Du auf dies Verlangen eingehen wollen und können, so wirst Du freilich die Aussicht haben, künftig noch öfter von mir gequält zu werden; aber da manf mit blosen Abbildungen hier nicht zum Ziele kommt, so weiß ich mir nicht anders zu helfen.
Hoffentlich erfahre ich bei der Gelegenheit auch sonst etwas von Dir; da Du jederzeit von mir durch meine Tante hören kannst, so unterlasse ich weitere Mittheilungen u. schließe mit den herzlichsten Grüßen als
Dein Weiß.
An Herrn Dr. E. Haeckel.
a Papierausriss, sinngemäß ergänzt; b korr. aus: ;; c gestr.: st; d gestr.: Glatte; eingef.: Bogen; e gestr.: Haut; f gestr.: ich; eingef.: man