Schulze, Franz Eilhard

Franz Eilhard Schulze an Ernst Haeckel, Graz, 6. Dezember 1875

Graz d. 6. Dec. 75.

Hochgeehrter Herr College!

Zunächst danke ich Ihnen herzlich für Ihre Photographie, welche ich mir längst gewünscht habe, und für die übersandten Kalkschwämme.

Es scheint mir, daß wir uns über das Vorkommen und die Bedeutung des oberflächlichen Plattenzellenlagers bei Spongien noch weiter verständigen können. Für mich würde es eine große Freude sein, wenn ich auch in dieser Frage mit einem Manne, mit welchem ich mich in so vielen wichtigen und fundamentalen Fragen einverstanden weiß, übereinstimmen könnte. Ich möchte Sie zunächst bitten, mir zu sagen, ob Sie nicht auch an dem Präparate, welches ich Ihnen noch einmal zu senden mir erlaube, an der durch die beiden Randzeichen bezeichneten Stelle bei ganz hoher Einstellung etwa folgende Zeichnung

[Zeichnung]

sehen und für ein Lager platter polyedrische Zellen, welche etwas durch Schrumpfung auseinandergerückt sind, halten. Es ist dies die Innenfläche des Mündungstheiles einer Sycandra raphanus, welche Parthie sich durch besonders glatte Fläche || auszeichnet und mir deshalb zum Aufsuchen und Nachweisen eines solchen Epithellager geeignet erscheint, als die von den Kalknadeln höckerige Außenfläche von Asconen. Ganz dieselben Bilder habe ich aber auch von äußeren Flächentheilen der Sycandra sowohl frisch als besonders nach Behandlung mit Gold und darauf CyK, oder auch mit Arg. nitric. erhalten; im letzteren Falle die bekannten tiefschwarzen Grenzlinien. Übrigens gebe ich gerne zu, daß dieses Zellenlager nicht überall so deutlich wie hier gesehen wird, aber ich habe dasselbe an der Sycandra an lebenden oder frischen Goldpräparaten nirgends ganz vermisst.

Meine Versuche, an den in Spiritus conservirten Asconen das oberflächliche Plattenzellenlager nachzuweisen, sind zwar auch misslungen, aber ich glaube wirklich, daß daran die zur Darstellung dieser zarten und schwierig deutlich zu machenden Zellengrenzen nicht geeignete Conservirung Schuld ist. Ich denke mir, daß auch hier die Gold oder Silberbehandlung die Zellengrenzen deutlich machen würde, obwohl ich diese höckerige und von vorstehenden Nadeln durchbrochene Außenfläche der Asconen nicht für besonders geeignet halte, um Zellengrenzen deutlich hervortreten zu lassen. || In Ihrer Auffassung dieses oberflächlichen Plattenzellenlagers, welches ich hie und da auch bei anderen Schwammgruppen nachweisen konnte, finde ich keine Abweichung von der meinigen. Freilich habe ich mich mit der Bezeichnung Ektoderm und Mesoderm noch nach der alten unzweckmäßigen Nomenklatur ungeschickt ausgedrückt. Ich vergleiche eben dieses oberflächliche Epithel der Spongien dem ähnlich aussehenden vieler höherer Cölenteraten, etwa der Medusen und die darunter liegende, dem Bindegewebe ähnlich aussehende, von Ihnen Syncytium genannt, Gewebslage der Gallertmasse des Medusenschirmes. Beide Gewebsschichten gehen auch nach meiner Ansicht aus dem primären äußeren Keimblatte, also dem Ektoderm, hervor, und es ist gewiß zweckmäßig, sie nach geschehener Sonderung auch durch besondere Namen zu markiren; was meinen Sie etwaa zu Ektatoderm und Ekteroderm?

Diesen könnten dann da, wo eine ähnliche Differenzirung des Entodermes geschieht, die Worte Entatoderm und Enteroderm gegenüberstehen

Ektatoderm

Ektoderm

Ekteroderm

Enteroderm

Entoderm

Entatoderm.

|| Ob nun überall und bei allen Spongien eine solche äußerste Zellenschichte, ein Ektatoderm oder eine Epidermis vorhanden ist, das ist mir selbst noch sehr zweifelhaft. Es braucht ja auch nicht überall das ursprünglichartige Ektoderm in ein Ektatoderm und Ekteroderm zub spalten. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie mir über diese meine Vorstellung Ihre Ansicht mittheilen wollten.

Um Ihnen das, was ich bei den Quallen einem Coelome verglichen habe, zur Anschauung zu bringen, bin ich so frei, Ihnen ein Präparat zu übersenden und zu dediciren, welches einen Querschnitt durch die Glocke von Sarsia zeigt.

Ob ich jetzt dazu kommen werde, eine Art von Monographie der Myxospongien und Gummineen zu unternehmen, scheint mir unwahrscheinlich, weil ich trotz vieler nach allen Seiten und ausgesandten Bitten nur äußerst wenig Material erhalten habe, welches noch dazu größtentheils dieselben Formen darstellt, welche ich aus der Adria schon besaß.

Mit herzlichem Gruße

Ihr ganz ergebenster College

Franz Eilhard Schulze.

a eingef.: etwa; b eingef.: zu

 

Letter metadata

Recipient
Dating
06.12.1875
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 16581
ID
16581