Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 7. Dezember 1890
Heidelberg, 7. Dez. | 1890.
Liebster Freund!
So wären wir denn glücklich in den Winter gelangt oder doch zu dessen baldigem Anfange, auf den ich mich deßhalb besonders freue, weil ich dann mit den Prüfungen zu Ende sein werde, die einem den ersten Theil des Wintersemesters versauern. Tag für Tag, jedesmal zwei Stunden zu prüfen, und das noch nach einer miserablen Schablone, läßt selbst das best ausgestattete Pflichtgefühl allmählig erlahmen und bringt einen in eine wahre Katzenjammer-Stimmung. Was mir da an Zeit und Spannkraft noch übrig bleibt wird redlich zur Vergleichenden verwendet. Aber da mir nun einmal die späteren Abendstunden zur Arbeit verpönt sind, kommt für den einzelnen Tag nicht viel heraus! Zum Glücke geht es bei meiner Frau wieder besser, wenn auch noch nicht ganz gut. Es war wieder eine recht || lange und unangenehme Geschichte, und ich wünsche von ganzem Herzen daß Deine liebe Frau sich ebenfalls gut erholt haben möchte. Die Weihnacht ist ja die zuverlässigste Erzeugerin von Uebeln!
Daß Du über Meeresströmungen so wenig in der Litteratur vorgefunden, nimmt mich wunder. Es ist doch eine so großartige Erscheinung, daß man sie nicht vergißt, wenn man das pelagische Leben darin einmal beobachtet hat. Mir fällt da noch ein, daß vielleicht in der Reisebeschreibung von v. Bibra sich Notizen darüber finden möchten. 50er Jahre: B. hat auf seiner Reise durch den Atlant. Oc. nach Südamerika, Thiere beobachtet. Ich hatte einmal von Ried Zeichnungen erhalten, die B. von pelagischen Formen angefertigt hatte. Da B. wenn auch kein Zoologe, doch ein guter Beobachter war, ist es wahrscheinlich, daß er auch der Strömungen erwähnt. Von den Reisebeschreibungen a selbst kann ich mich nichts Genaues mehr entsinnen. | |
Wegen Göpperts freut es mich, daß er Dir gefallen hat; auch war mir sehr lieb aus Deinem Briefe ersehen zu können, daß Du ihn zum Sommer nimmst, wie Du vorher schon mir geschrieben hattest. Hier war nämlich das Gerücht gegangen, G. würde erst zum Herbste von Dir angenommen, was mir, da es mich dementirte, recht sehr unangenehm gewesen wäre, wie Du ja wohl begreifen wirst. Gut, daß dem nicht so ist!
Die grassirende Schulfrage scheint mir in jeder Hinsicht auf Holzwege zu gerathen, da an die Hauptsache, die Lehrer, gar nicht gedacht wird. Alle Reformationen und Regulative werden nichts leisten, wenn nicht anderes Lehrmaterial beschafft wird. Woher? Ich weiß es nicht. Sind doch selbst unsere Hochschulen überaus arm an wirklich guten Lehrern. So ein Physikum mit anzuhören, giebt einen Begriff davon, wie alles zum Memoriren drängt, und b wie die Art des Examinirens nur an den Katechismus erinnert! Nichts von Entwickeln! Da schiebt man dann die Schuld dem Gymnasium zu. Vielleicht || rühren am Ende auch die Ueberschneidungen daher!
So weit für heute! Lebe wohl und empfange mit den besten Wünschen für Weihnachten herzliche Grüße, auch für die Deinigen,
von Deinem alten
CG.
a eingef.: selbst; b eingef.: wie