Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 4. Dezember 1882
Heidelberg, 4. Dec. 1882
Liebster Freund!
Es ist eine lange Zeit verstrichen, seit wir beim Würzburger Jubelfeste einen Regenabend gemüthlich im Café zum Hirschen verbrachten und nach langer Trennung wieder einmal Erlebtes und Gedachtes wechselseitig austauschen konnten. Seitdem ist es Herbst und Winter geworden und der Himmel hegt bereits Schnee-Gedanken! Während Du zum Herbste in Steiermark warst, genoß ich mit meiner Familie einen schönen Aufenthalt auf dem Heiligenberge, wo zumeist besseres Wetter war als sonst in Süddeutschland, besonders in der Schweiz. Seit Mitte September bin ich wieder hier und habe mich an Deinen letzten Reisebriefen erquickt, so zwar, daß ich bedauerte, schon zu Ende damit zu sein. Du hast inzwischen meiner Tochter Emma ein Exemplar dieser Briefe gütigst zugewendet, wofür ich Dir besten Dank sage. Sie selbst ist gegenwärtig bei ihrer Tante zu Besuch von wo sie wohl erst zu Weihnacht zurückkehren wird. ǀ|
Das Unglück welches das Fischersche Haus betroffen ist mir sehr nahe gegangen. Sie war doch der gute Genius des Hauses. F. empfindet jetzt erst recht was er an seiner Frau besaß, und wird das noch lange fühlen. Ich bin noch immer mit meinem Buche beschäftigt, welches ich während der Ferien im Drucke sistiren ließ, da bei dem vorhergehenden raschen Drucke mit den Holzschnitten große Irrungen passirt waren. Bis zu Weihnachten hoffe ich mit der Durchsicht des letzten MS. zu Ende zu sein.
O. Hertwig schrieb mir jüngst er lese Anthropologie und bearbeite dann ein populäres Buch darüber. Das ist nicht recht. Nach meinem Dafürhalten müßte H. sich mit seinem Fache beschäftigen. Es gibt in der Anatomie so viel, viel Aufgaben! Wenn die welche das Zeug dazu haben sich nicht damit abgeben wollen, wer soll’s denn machen. Ich fürchte die „Popularitis“ |ǀ wird ihn verderben und das wäre schade. Du denkst vielleicht anders als ich, allein ich muß meine Meinung sagen.
Mir geht es recht gut, auch den Meinigen. Du bist wohl viel mit Bauen und Einrichten beschäftigt. Glück auf dazu! Wie steht es mit dem Darwin-Memorial-Fund? Ich habe nichts weiter darüber gehört!
Grüße mir gelegentlich Deine liebe Mutter, von der ich mich sehr freute in dem Vorwort Deines Buches gelesen zu haben daß sie ihren 84 Geburtstag in körperlicher und geistiger Rüstigkeit beging.
Mit besten Grüßen von Haus zu Haus
Dein alter
Gegenbaur