Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 2. Juli 1875

Heidelberg 2 Juli 75.

Liebster Freund!

Mit diesemmale empfängst Du einen lange verschobenen Brief, zugleich mit dem Danke für Deine Zusendungen. Grüße von mir wird Dir wohl Seebeck überbracht haben. Der Sommer ist nun völlig herangekommen, mit Hitze und vielen Regenschauern, und läßt keine zahlreichen Tage zum Genuß der Gegend, und das ist auch gut, denn ich habe sehr wenig Zeit frei, und freue mich deshalb auf die Ferien. Gegenwärtig bin ich mit Götte beschäftigt, schon mehrere Wochen hindurch, eine eklige widerwärtige Arbeit. Ich werde da so vorsichtig als möglich zu Werke gehen, und ihn nur da fassen wo er zu halten ist, bei unbegründeten Folgerungen, falschen Schlüssen. Ich bitte Dich sehr sei gleichfalls vorsichtig, und verschütte das Kind mit dem Bade nicht! Ich denke mir daß seine Grundanschauung der organischen Welt, der Mangel und Einsicht in die Decendenzlehre – dabei doch Lobspendung Darwins! – seine Auffassung der Bedeutung der Ontogenie, die alleine er anerkennt, Dir Anhaltspuncte genug geben. Laß Dich nur nicht in Detailfragen || ein, seine Eilehre usw. Denn da ists nothwendig mit eigenen Beobachtungen zu kommen, denn das sich dafür interessirende Publicum ist nicht mit allgemeinen Gründen zu bekehren!

Sehr eigenthümlich nimmt sich die Gastraea bei Götte aus. Was er damit will wenn er die Descendenz verwirft weiß ich nicht. Eine Begründung der Gastraealehre bei den Wirbelthieren halte ich aber für ausnehmend schwierig. Es fehlt dazu noch an der Einsicht in die Genese der Mundhöhle; den Zustand in dem eine zweite neue Mundöffnung die erste alte ablöst kann ich mir nicht vorstellen, daher ich mir die Frage fürs erste noch fern halten muß. Daß sie gelöst werden kann bezweifle ich natürlich ebensowenig als daß in den Keimblättern der Boden gegeben ist, auf dem man zum Angriffe des Problems schreiten kann. Die Rolle welche das Götte’sche Buch spielen wird, darf man in gar keiner Weise unterschätzen, deßhalb also Vorsicht. Waldeyer, der wie ich vernehme für Berlin bestimmt sein soll, wird wie ich gleichfalls hörte, eine günstige Beurtheilung des Werkes publiciren, und da wird es denn wieder einige Zeit || währen, bis die damit angerichtete Confusion dem ruhigem Fortschritte der Wissenschaft gewichen sein wird. Uebrigens trifft auch den biederen Oskar ein schönes Licht. Der Kerl, unter dessen Protection solches Zeug gedeiht, soll doch sich schämen je noch ein Wort über Descendenz oder natürliche Züchtung zu schreiben!

Ich habe Dir oben von Zeitmangel geschrieben. Der rührt größtentheils von einem Zeichner her der Holzschnitte für meine Anatomie anfertigt und fast den ganzen Tag mich beansprucht. Für Knochen und Muskeln ging es leidlich gut, aber für Nerven zb. getraue ich mir in kürzerer Zeit eine bessere Zeichnung fertig zu bringen. Auch in dieser Beziehung sehne ich mich aufs Semester Ende.

Kirchhoff’s Weggang von hier hat keine Lücken in der Frequenz gebracht! Quincke hat ihn als Lehrer völlig ersetzt, und sogar übertroffen. Es ist erstaunlich wie die Bedeutung eines Mannes so geringen Einfluß aufs hörende Publicum hat. Denn eine größere Verschiedenheit als diese beiden Physiker schon im persönlichen Verkehr zeigen, gibt es kaum. Ob es K. nicht bereut weggegangen zu sein, da doch kein äußerer Anlaß dazu bestand, und er sich in keiner Weise vom Ministerium verletzt fühlen konnte. –

Daß Jena sich so guter Frequenz erfreut höre ich sehr gerne. Wir haben es ja immer gesagt daß die Eisenbahn auch das || bringen würde, und es zeugt nur von der Kurzsichtigkeit der Regierung daß sie es so lange hintertrieb. Diese Frequenz hätte Jena schon vor 20 Jahren haben können, wenn die nöthige Einsicht dagewesen wäre!

In meiner Familie geht es gut; nachdem Kinder und Frau abwechselnd in manichfachen Kleinen Beschwerden die Freude des Daseins getrübt sahen, ist jetzt Alles wieder auf den Beinen, denn selbst der Kleinste macht allerdings noch recht übelgelingende Versuche zu jener Position.

Mit den besten Wünschen für Dein und der Deinigen Wohlergehen sende ich beste Grüße von mir wie von meiner Frau und bin stets

Dein aufrichtiger

CG.

Hast Du Dich nicht über Dohrns Ordensbänder recht gefreut! Der Kerl ist doch noch immer derselbe der er schon vor 10 Jahren war.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
02.07.1875
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9998
ID
9998