Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 10. November 1874

Heidelberg, 10 Nov 74.

Liebster Freund!

Das Gute ist der Feind des Besseren, denn es wäre gewiß besser gewesen wenn ich meine seit dem Empfang Deines letzten Briefes gehegte Absicht Dir alsbald zu schreiben auch unter vielem Gedränge ins Werk gesetzt hätte, anstatt auf einen freien Moment zu warten und dabei Wochen verstreichen zu lassen. Doch dem soll nun ein Ende sein. Da empfange denn vor Allem meinen wie meiner Frau herzlichen Dank für die Annahme der Pathenschaft für den kleinen Fritz, den wir zur gemeldeten Frist richtig getauft haben, so daß wir jetzt nur hoffen wollen daß die guten Wünsche die auch Du ihm gespendet, alle in Erfüllung gehen mögen. Er fährt inzwischen fort recht kräftig zu gedeihen, und auch meine Frau hat sich ordentlich erholt, wenn sie auch manche unruhige Nacht auch manchen Tag minder angenehm durchleben läßt.

Ich stecke, wie Du Dir denken magst im vollen Semester und hoffe daß auch Du das Deinige wieder begonnen hast nachdem eine Unpäßlichkeit || von der Dr Hahn mir meldete, glücklich wieder abgezogen.

Das Semester ist für Heidelberg, wie ich schon signalisirte, ein wenig erfreuliches. Winscheids1 Weggang und eine Krankheit Renauds haben die Juristen dezimirt, für die Minderung der medizin. Frequenz sorgen die trefflichen Collegen, dh einige davon, und auch für andere Fächer sind keine sehr grünen Aussichten vorhanden da Kirchhoffs Weggang schwerlich ohne Wirkung bleiben wird. Ich kann froh sein in meinen Vorlesungen so ziemlich den Status des vorigen Winters erreicht zu haben, und den ganzen neuen Zugang im ersten Semester zu finden, sowie der gesammte Abgang die späteren Semester betrifft.

Unter anderen Umständen könnten diese Verhältnisse recht grau erscheinen, hier, wo das Wechselvolle sich intensiver abspielt, sehe ich es nicht so schlimm an, vermeine sogar am Horizonte bereits eine lichte Stelle zur Verheißung besserer Zustände aufdämmern zu sehen. Doch ist mir all’ das eigentlich nur Nebensache, da ich nach und nach mit meiner Anstalt in bessere Ordnung kommen, und mein Augenmerk vor Allem auf meine || Anatomie gerichtet habe. Dein Specialcollege hat nochmals einige Anläufe gegen mich gemacht, scheint aber dabei ebenso wenig Glück wie früher gehabt zu haben, und wenn er meistens recht zahm scheint, so hat das wohl seine Ursache darin daß er sich bei seinen Sprüngen den Bobo etwas verstauchte! Ich hoffe immer daß er’s endlich satt bekommt!

Dein Buch habe ich zu lesen begonnen und finde es in Plan und Ausführung gleich trefflich; Für manches wäre wohl etwas Restriction am Platze gewesen, nach meiner, freilich, wie Du weißt, etwas bedächtigen Auffassungsweise, die sich nicht so kühn zu erheben vermag. Wegen der Holzschnitte spreche ich bei unserer nächsten Begegnung mit Dir. Für die 2te Auflage mußt Du da wohl viel ändern. Das ist meine offene Meinung die Du selbst zu wissen wünschtest. Wenn es für die zweite Auflage noch thunlich ist so verringere doch die „Adlernase“ des Nasenaffen!

Cläuschens neue Auflage hat Dir wohl die Inangriffnahme eines Handbuchs wieder recht nahe gelegt- „Vorne getrommelt, und hinten ken Soldate!, sagt der Pfälzer, das trifft auch da recht zu. Hast Du wohl Iherings Aufsatz im Ausland (April 74) angesehen. Wenn der Mensch Dich wieder || besuchen sollte, so spare doch einige Fußtritte nicht!

Interessant war mir neulich die „Nature“ d. J. durchzugehen, und darin zu sehen wie Huxley gegen meine Schädelauffassung durch Parker einen heimlichen Krieg führen läßt, seinem Schildknappen dabei auch das Plündern in fröhlichster Weise gestattend. Wenn ich nur erst einmal mit meinem Buch fertig wäre!

Die Jenenser Wirbelsäulen-Forschungen haben uns, dh. Fürbringer, Rosenberg und mich, höchst amüsirt. Die Foster’sche Entwicklungsgeschichte hat bis jetzt einen guten Eindruck auf mich gemacht. Daß die His’schen Angaben auf gebührendes Maaß zurückgeführt sind freut mich. Sehr begierig bin ich auf den allgemeinen Theil, zu dem die Herren doch wohl kaum das Zeug haben.

Nun habe ich wieder einmal mit Dir geplaudert, und will gut Nacht! sagen. Lebe wohl, grüße Deine liebe Frau bestens von uns und empfange auch gute Wünsche für Dich und Deine Familie.

In alter Freundschaft

Stets Dein

CG.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.11.1874
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9990
ID
9990