Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Jena, 8. bis 22. Januar 1867

Jena. 8. Jan. 67.

Liebster Freund!

Es soll dieses Neujahr nicht weit vorschreiten ohne daß ich Dich, geliebter Freund von Herzen grüße, und Dir Alles Glück wünsche, mir aber die Fortdauer Deiner Freundschaft ausbitte. Jetzt werden wohl meine Briefe in Deinen Händen sein, und ich habe nicht nöthig auf Früheres zurückzukommen. Zu Weihnacht war ich drei Tage in Würzburg bei meinem Töchterchen und habe mich wieder über dessen gute Entwicklung freuen können, freilich nicht ohne tiefen Schmerz bei der Erinnerung vergangener Tage. Meine Schwiegermutter läßt Dich bestens grüßen, und nimmt an Deinem Reisegeschicke warmen Antheil. Hier habe ich wieder die Semester Arbeit neu aufgenommen, und befinde mich allmählig wohler, obgleich irgend etwas pathologisches noch bestehen mag. Die anatomische Anstalt macht mir viel zu schaffen, Aerger und Arbeit, beides ganz unnütz, so daß ich gar manchmal schon daran dachte die Flinte ins Korn zu werfen! und abzudanken. Lache nicht darüber, denn es war mein voller Ernst; auch reifliche Erwägung fehlte nicht dabei. Die Sache blieb aber vorläufig bei mir, da ja gegenwärtig Niemand hier ist, mit dem ich eine intimere Angelegenheit besprechen könnte. Dein Buch habe ich bereits fleißig studirt, und mich von Neuem über die Klarheit der Ideenentwicklung gefreut. Hier hat man es in gewissen Kreisen arg zerzaust, wie ich unter der Hand vernahm, freilich hast Du auch manchmal recht starken Taback geraucht, was nicht überall nothwendig gewesen wäre. Von außen kommt mir wenig Nachricht zu, da ich kein professioneller Briefeschreiber bin, und nur da wo es nöthig in Correspondenz trete. Von Leydig dem ich vor längerer Zeit geschrieben erhielt ich kürzlich Antwort, im Leydigschem Style. Er rühmt das Unternehmen, hat aber Dein Exemplar zurückgeschickt da er es sich selbst angeschafft hat. Ich weiß nicht wie ich das ansehen soll, jedenfalls ist eine gewisse Monomanie bei ihm im Zunehmen, und der arme Mann kann nur Bedauern erwecken. – Einen Brief von Zeller lege ich Dir bei. O. Schmids Brief wirst Du mit dem meinigen erhalten haben. Auch von einem Brief Welckers, der inzwischen Ordinarius geworden ist, muß ich Dir berichten. Er hat Dein Buch eingesehen, und schrieb mir in der enthusiastischsten Weise darüber, so daß ich in der That ganz überrascht war. Auch da scheint also das Evangelium bei den Armen und Einfältigen ǀ Eingang zu finden. Die Pharisäer und Schriftgelehrten mögen thun was sie wollen. Der biedere Zobel Giebel hat in einer kürzlich an Dich gelangten Abhandlung Huxley überführt, daß er von vergleichender Anatomie gar nichts verstehe, indem er an einer vergleichenden Untersuchung des Menschen- und Orangschädels die von Huxley ganz übersehene große Verschiedenheit an allen Theilen gründlich auseinandersetzte. Auch einige auf dich gezielte Hiebe sind in Anmerkungen verborgen. Also nicht baldig fröhliche Umkehr der Wissenschaft! E pur se muove! Darwins Buch ist ins Italien. übersetzt, von Ambroni, wie ich aus einem eben erschienenen trefflichen a Broullion von Le Hon (Brüssel) „l’homme fossil“ ersehe. Was wird Van Beneden und der andere Van dazu sagen, dessen „Philosophie zoolog.“ im neuesten Jahresberichte Leuckarts hoch gepriesen wird! Von guten Büchern ist sonst noch, aus Rathkes Nachlaß, die Entwicklung der Crocodile erschienen, von Wittich herausgegeben, jedoch mehr Anatomie. Eine sehr reiche Fundgrube! Von Schneiders Werk habe ich schon gesprochen, ich habe den anatom. Theil durchstudirt, er ist ausgezeichnet, und erfüllt mich mit Freude daß doch die allein zum Ziele führende Methode nicht ganz verlassen ist. Im nächsten Jahresberichte werden wir freilich kaum andere als die bereits in Eberths elenden Nematoden Machwerk verschwendeten Epitheta ornantia daran gebunden sehen! Wie viel könnte eine rationale Kritik nutzen, wenn sie geübt würde. Da ich gerade bei der Kritiklosigkeit bin, muß ich diesem Thema ein Wort über Schleidens Meer beifügen, das ich mir neulich von Carus mitnahm. Es ist allerdings keine Uebersetzung, sondern eigenes Fabricat, voller Ungeheuerlichkeiten, mit guten und noch mehr schlechten Witzen. Es ist schade daß dieß elende Buch auch für Darwin eine Lanze bricht. Das ist allerdings der beste Theil, und muß in einer nüchternen Stunde geschrieben worden sein. Schl. begründet die Nothwendigkeit einer Genealogie oder Gennetologie, und muß nach Allem, auch für Dein Werk offenen Sinn haben. Ein schnurriges Kapitel ist das über die Engel aus welchem ich Dir eine Probe scherzesweiß beilege. Es ist sammt Inschrift von einem Denkmal des Prinzen Louis bei Saalfeld.

22/1 Ein langwieriger Schnupfen verhinderte mich den Brief schon vor 14 Tagen zu Ende zu bringen. Eine Witterung, die nur durch ihre Unbeständigkeit sich beständig zeigte, hat das Uebel für länger als sonst gebräuchlich sich fortsetzen lassen, und erst jetzt komme ich wieder etwas zu mir und vermag das Angefangene zu beendigen. Inzwischen habe ich Deine Briefe ǀ| (bis zum 16 Dez.) erhalten, auch die Lectionsanzeige besorgt. Mit großem Intereße folgte ich Deiner Reisebeschreibung, und bin nun noch begieriger über Eure Ausbeute Näheres zu erfahren. Wenn Du einmal einen Ueberblick über die Fauna des dortigen Meeres gewonnen hast, so schreibe doch einmal etwas darüber für unsere Zeitschrift zusammen, damit auch dieser Leserkreis etwas von Dir erfährt. In ein paar Wochen wird fürs letzte Heft des dritten Bandes Material gesammelt, und da ist ein Beitrag hoch erwünscht. –

Gestern Früh ist der junge Seebeck gestorben, nachdem längst keine Hoffnung für sein Aufkommen war. Vor drei Wochen bereits soll er Pneumothorax bekommen haben. Die Aeltern waren darauf seit diesem ganzen Winter vorbereitet. Auch ADiac. Klopfl. hat seine Frau verloren. Eins geht ums andere und bald wird auch unsereins nicht mehr Beobachter dieses Naturprozeßes sein! Die Zeit wird einem dadurch doppelt kostbar, und ich muß von neuem darüber klagen daß ich den größten Theil dieses Winters zwecklos hindämmern mußte. – Von M. Schultze habe ich Dir gleichfalls betrübendes zu melden. Er hat eines seiner Kinder, ich glaube das vorjüngste, am Scharlach verloren an dem Alle erkrankt waren, und der auch ihm eine Diphtherie brachte. Er soll, wie mir sein Bruder kürzlich mittheilte, noch immer (seit Weihnachten) leidend sein. – Ueber unsere polit. Zustände magst Du Dich aus den beigefügten Ausschnitten aus der VolksZ. orientiren. Der Katzenjammer beginnt bereits sich von der Peripherie aus einzufressen. Dein Hausgenosse candidirt überall herein. Es will aber nichts rechtes verfangen. Für hier hatte er bereits einmal in öffentl. Erklärung abgelehnt, nachdem eine Wahl eventuell höchst zweifelhaft war, und zugleich eine auswärt. Bewerbung zu reüßiren schien. Nun scheint mit letzterer nichts geworden zu sein, denn das seriöse u. artige Saalblatt bringt ihn plötzlich wieder zum Vorschein. Vortreffliche Zustände im Großen wie im Kleinen! Unsere Nutritoren scheinen an eine Abdankung zu denken, man munkelt allerhand davon. Bei der kolossalen Anforderung die jetzt von Kriegswegen an sie gestellt worden, ist allerdings ihre Fortexistenz ganz unmöglich. Pringsheim kann nicht erwarten daß Jena eine preuß. Univ. wird. Er hat bereits einen darauf bezügl. Antrag im S. gestellt, der natürlich ablehnen wird. Er glaubt wohl sich auf diese Weise nach Pr. einzuschmuggeln! nachdem man ihn doch von dorther schnöde genug behandelt hat. O wie sehr verachte ich diese elende Bande! – Was wird in der nächsten Zukunft aus der deutschen Wissenschaft werden? –

Von Irlin in Amsterdam erhielt ich kürzlich Nachricht. Er hat Dein Buch durchstudirt, und ist sehr erfreut darüber, voll Bewunderung! Da sonst völlige Stille herrscht mag wenigstens ein privates Lebenszeichen immerhin aceptabel sein. ||

Von neuer Literatur ist wieder nicht viel zu sagen. Van Beneden hat über Hydroidpolypen ein Memoire publiziert, worin jedoch nicht viel neues zu sein scheint. Gelesen hab ich’s nicht. Von Rolle las ich einige neue Bücher angezeigt, die in Darwinschem Sinne geschrieben sind. Hab‘ sie noch nicht zu Gesicht bekommen. Nebenbei florirt auch die Wurst-Literatur, wie Cläuschens Zoolog. beweist, von der ein Theil des zweiten Bandes erschien. Ein ganz urtheilsloses Geschmiere. Furunkel mit embryologischer Sauce und anatom. Cappern! Ein unverdauliches Gericht! – Dein Anerbieten für mich eine Blechkiste mit Fischen zu sammeln nehme ich dankbar an für den Fall Du Gattungen haben kannst die nicht im Mittelmeer vorkommen. Große Exemplare und gut conservirt. Auf große Anzahl von Specimiens wird nicht gesehen. Selachier wären mir freilich am liebsten, wenn keine Ganoiden zu haben sind. Doch plage Dich nicht etwa damit, denn ich habe noch viel Material. Vor einigen Wochen hatte ich wieder einmal die Scopelinen vorgenommen, und mich wieder überzeugt wie reiche Ausbeute an der so kleinen Gruppe zu haben ist. Vorläufig komme ich jedoch nicht daran da mich mein Buch drängt, und mir doch nur wenige Zeit zum Untersuchen bleibt. Das ist’s was mich mit dem Wintersemester immer in Feindschaft bringt, Tages Arbeit Abends – müde! Müde wie ein Schulmeister! Und dabei soll man noch seinen elenden Cadaver pflegen. Der meinige verlangt besonders viel von mir, und will sich noch immer nicht im Recht Verhältniß finden, obgleich ich mehr als je auf ihn Rücksicht nehme. Hoffentlich gehts im Sommer besser wo ich mehr die frische Luft genießen kann. Für jetzt muß ich mich ganz eingesperrt halten, und eben wieder sich ankündigendes Thauwetter gibt auch keine Aussicht auf die nächsten Tage. So geht ein Stück des Winters ums andere an meinem Elend vorüber, und noch kurze Zeit, und der Frühling kommt und mit ihm die Hoffnung auf baldiges Wiedersehen. Ich freue mich jetzt schon ganz außerordentlich darauf, und es gehört zu meinen liebsten Gedanken den theuren Freund bald wieder umarmen zu können. Laß Dirs gut gehen, und denke auch an die Vorsicht, die der Weisheit Mutter ist. Deine bereits glücklich überstandenen Gefahren haben mich an jene denken lassen die etwa noch zu bestehen sind, und da muß ich denn einen Warnungsruf an Dich ergehen lassen. Recht philisterhaft! nicht wahr? aber bei alledem doch freundlichst gemeint, und das muß doch die Hauptsache bleiben. Grüße Miclucho und Fol bestens von mir, Du selbst aber sei tausendmal mit herzlichem Bruderkuße begrüßt von Deinem

treuen

C G.

Von meinem Töchterchen erhielt ich kürzlich wieder gute Nachricht.

a Von oben eingefügt: trefflichen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.01.1867
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9948
ID
9948