Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Würzburg, 27. August 1866

Würzburg, 27. August 66.

Liebster Freund!

Im Begriffe von hier abzureisen sende ich Dir noch meine herzlichsten Grüße von hier und benachrichtige Dich daß ich bei meiner Ankunft die Angehörigen in gutem Befinden traf, und für Vieles Beruhigung fand was in der Entfernung sich in schlimmerer Gestaltung sich gezeigt hatte. Mein Töchterchen fand ich ohne Spuren überstandener Krankheit und hatte die Freude von der Kleinen sofort erkannt zu werden. Es ist bis jetzt viel um mich gewesen, (obgleich ich nicht bei meiner Schwiegermutter wohne) und hat sich, soweit die Verhältnisse es erlaubten mir bereits sehr vertraut gemacht. So hatte ich dann bei allem Schmerzlichen doch manche frohe Stunde, und ich verschob meine anfänglich auf kürzeren Termin bestimmte Abreise bis zum morgigen Tag. Ich beabsichtige zunächst an den Bodensee, und dann in die Schweiz zu gehen, und in etwa 3–4 Wochen über den Schwarzwald || zurückzukehren. Es wird mir recht gut sein bald wieder Würzburg entfernter zu sein, denn so sehr es mich meines Kindes wegen hieher zog, und so gerne ich gegen meinen greisen Vater Sohnespflichten erfülle, so ist mir doch Würzburg wieder unerträglich geworden, und es treibt mich in die Ferne. Das ist der alte Zustand, nur wird mir das Maß jetzt früher voll als sonst! Dabei ist es Keinem begreiflich daß ich hier weder ruhigen Naturgenuß noch Muße zur Arbeit finden kann. Daß meine Ideen über die politischen Zustaende gleichfalls des Anklanges entbehren wirst Du begreifen. Meine hiesigen Freunde, oder vielmehr die mit denen ich umgehe, sind in zwei Partheien getrennt. Die einen ziehen am Triumpfwagen des Erfolges, die anderen sehen im gegenwärtigen Zustande nur ein großes Unglück, beide verstehen mich nicht, indem sie Staat und Volk entweder über Gebühr trennen oder gothaisirend zusammenwerfen. So ist denn auch da keinerlei Befriedigung zu finden. Dazu kommt noch die übermenschliche Borniertheit der ächten Chinesen, der man auf jeden Schritt und Tritt begegnen kann. Ein wahres Labsal in dieser Wüste war mir daher die Rede Jacobys, von der ich nur das Eine beklage, daß sie || verfrüht ist, und wie viele Dezennien, das mögen die Götter wissen! Die preussische Occupation wird hier mit Anstand ertragen, a obgleich sie sehr drückend ist, die Mannschaft ist im ganzen sehr beliebt, und überall, auch auf dem Lande, hat man sie lieber als Bayern, die Offiziere dagegen haben weniger Sympathie gewonnen!! Sehr schlimm steht es in dem von der Bundesarmee und den Preußen durchzogenen Gegenden Frankens. Viele Ortschaften sind gänzlich ausgesogen, Fruchtfelder vernichtet, Vorräthe zerstört. Auf einem Striche der halb so groß ist als das Grh. Weimar, ist die Beschädigung weit über 2 Millionen Gulden. Und dazu die Cholera, die in jenen Strichen viel intensiver als im Norden auftritt. Zum Glück kamen hier nur wenige Fälle vor, seit 8 Tagen keiner mehr. Doch ist’s noch nicht ganz sicher, da die beständigen Truppendislocationen jeden Tag den asiatischen Gast wieder bringen können. Deßhalb wünsche ich diesmal daß die braven Westphalen nicht bald wieder abziehen möchten, wenn es auch sonst den biederen Würzburgern recht nützlich und heilsam sein mag, mit anders geartetem Volke in längerem Contacte zu bleiben. –

Hoffentlich schreitet Deine Arbeit richtig vor, und die Stammbäume blühen bald in lustiger Schrift, und ich darf hoffen bei meiner Rückkehr das stattliche Opus vorzufinden. Auch gibst Du mir wohl sobald die Zeit es || Dir erlaubt Nachricht, denn Du magst bedenken daß ich bei aller Entfernung und aller Verschiedenheit der Umgebung doch stets in Gedanken bei Dir weile, und mit einem bald in Wehmuth sich wandelnden Freunde der Stunden unseres Umgangs gedenk bin. Grueße Deine lieben Aeltern herzlich von mir und melde auch freundliche Empfehlungen meiner Schwiegermutter, Du selbst aber sei tausendmal gegrüßt von Deinem

treuergebenen

C. Gegenbaur

a Gestr.: und

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
27.08.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9938
ID
9938