Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Jena, 26. April 1864

Jena, 26. April | 1864.

Lieber Freund!

Ob Dir mein von Würzburg aus geschriebener Brief, poste restante Nizza, zugekommen ist, weiß ich nicht, hoffe es aber, und will nunmehr, nachdem ich mit meiner Frau wieder glücklich in Jena angelangt, nicht länger zögern Dich auch von hier aus zu begrüßen, und Dir zu sagen wie sehr ich mich auf Deine Rückkehr freue. Dein Brief ist mir bald nach meiner Ankunft zugekommen, und nun ich auch die Schilderung deines Schmerzgefühles, die Charwoche unter italienischem Himmel, in tiefster Theilnahme gelesen und Deine Leiden mitempfunden habe, schmerzlich angeregt, so habe ich doch auch aus denselben Zeilen gesehen, wie Du allmählich Herr Deiner selbst geworden, oder doch auf dem Wege bist es zu werden, und darüber habe ich mich recht innig gefreut. Wie sehr wünsche ich daß Du fortschreiten mögest auf diesem Wege, daß Dir die Gegenwart nicht mehr dunkel und öde sei, sondern freundlich erhellt von dem milden Lichte der Vergangenheit. Möge Dir die Wißenschaft, der Beruf, das große Werk an dem wir alle arbeiten, und das an uns allezeit seine ernsten Anforderungen stellt, recht zum Troste gereichen.

Du hast, wie ich aus deinem Briefe ersehe, die Medusen vorgenommen, das ist recht löblich, denn da gibts jedenfalls noch sehr viel aufzuräumen, und ich freue mich ganz besonders daß sich wieder jemand dieser lieblichen Geschöpfe annimmt, nachdem die letzten Betrachter am Mittelmeere, Ehlers u. Keferstein nicht über meine eigentlich ganz gelegentlich unternommene Arbeit hinausgekommen sind. Damit willst Du bis gegen Pfingsten am Meere weilen, um Begonnenes zu vollenden. Ich wünsche dir von ganzem Herzen Glück dazu, allein ich fürchte daß der vorgemeßene Zeitraum doch zu kurz ist. Vielleicht hättest Du besser gethan || deinen ursprünglichen Plan bezüglich einer früheren Rückkehr auszuführen, denn das geringste Hindernis kann Dir die Beendigung der Arbeit stören, und hier verdirbst Du Dir offenbar das Colleg, da sicher ein Theil derjenigen die vergleichende Anatomie zu hören beabsichtigen, sich verlaufen wird. Doch das ist alles, im Ganzen genommen nur nebensächlich, die Hauptsache ist: Du hast hier noch eine schwere Aufgabe zu erfüllen, die erste Zeit in Jena wird Dir eine arge werden, und auch das muß vollendet sein, auch dafür mußt du als Mann eintreten, und je eher desto beßer, denn erst wenn das überstanden, mag die Seelenruhe allmählich wiederkehren. Gegen diese Deine inneren Zustände ist die Vollendung einer Arbeit untergeordnet, ja Du wirst Sie recht eigentlich erst nachher beendigen können. Dies sind die Ansichten die ich aus meinen Empfindungen über Deinen Zustand schöpfe. Wir mir heute Morgen Geh. Staatsrath Seebeck sagte hat er Dir ähnliches bereits geschrieben, und ich muß darin seine Ansicht vollkommen theilen. Er meint es wahrscheinlich recht gut mit Dir!

Um zu ahnen was Dein Entschluß sein wird, dafür bin ich hier dem Meere zu ferne, und ich begreife vollständig daß die Rückkehrsfrage in Villafranca sich anders discutirt. Für alle Fälle meine besten Wünsche für Dein Wohlergehen. Deinen Anschlaghabe ich bereits von Würzburg aus besorgt, werde aber die von Dir gewünschte Aenderung sofort vornehmen wenn Du bis zum 2 Mai noch nicht angelangt bist. Vielleicht erhalten wir inwischen noch Nachricht von Dir. Verlaße dich also darauf daß alles wird wie Du es wünschest. ||

Heute habe ich mein Semester begonnen, leider mit unerfreulichen Besuchverhältnißen. Vielleicht ist der frühere Anfang Schuld. Auch die Bäume und Wiesen wißen noch nichts vom Sommersemester, und alles ist gerade so wie wir’s vor fünf Wochen verließen, kahl kalt, und staubig! Wie gerne möchte ich da ein paar Tage bei Dir sein, und wieder die Bilder in mir wach rufen die jetzt bald 11 Jahre hindurch in mir schlummern! Vielleicht richtet sich’s später einmal, denn wie auch immer die Wirbelthiere mich jetzt ganz beschäftigen, das Meer, das Mittelmeer, haben sie mir nicht verdrängt, und ich habe sogar schon eine ganze Reihe von Vertebraten Projecten die dort die Stätte ihrer Ausführung finden können.

Da gegenwärtig mein Carpus u. Tarsus gedruckt wird, beschäftigt mich die Correctur, auch meine Schedelarbeit habe ich gleich am ersten Arbeitstage wieder aufgenommen. Vielleicht komme ich diesen Sommer weiter damit, um so mehr als ich Entwicklungsgeschichte offenbar nicht werde lesen können, da keine Stunde dafür aufzufinden ist. Unser Publicum beschäftigt sich ja überhaupt lieber mit practischen Dingen, und hört lieber 6mal Chirurgie! Doch auch das läßt sich auf die gute Seite wenden, denn es kommt dabei Zeit heraus für Ersprießlicheres!

Von hiesigen Freunden habe ich nur Bezold, der vier Wochen in Wien war, länger gesprochen, Schultze und Gerhard ganz kurz. Sie alle grüßen bestens, und diesen Gesinnungen schließt sich auch meine Frau an, mit der ich viel von Dir spreche. Nun nimm endlich auch noch meine Grüße hin und gieb bald wieder Nachricht von Dir, oder komm am besten selbst.

Unveränderlich Dein

Gegenbaur.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
26.04.1864
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9929
ID
9929