Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Jena, 15. September 1860

Jena, 15ten September 1860.

Lieber Haeckel!

Von Helgoland wieder wohlbehalten hier angekommen soll es mein erstes sein Ihnen Mittheilung zu machen über den Stand der Hamburger Angelegenheit, die ich jetzt mit doppeltem Rechte eine gemeinsame nennen darf. Hören Sie: Max Schultze hatte mir geschrieben dass ich wohl bei Möbius die besten Auskunft erhalten würde. Da ich diesen nun ohnehin besuchte, lenkte ich das Gespraech auf jene Stelle, und erfuhr sehr bald die Bestätigung dessen was Sie mir in Ihrem vorletzten Briefe mitgetheilt hatten, dass nämlich alles noch in weitem Felde liege, dass Leuckart, Stannius etc. sich beworben, dass aber auch Möbius selbst einer der Bewerber sei. Hier war also nicht viel zu machen. Als ich mich andern Tags Einkäufe halber beim Custos des zoologischen Museums befand, sagte mir dieser, Prof. Wiebel, der durch ihn von meiner Anwesenheit benachrichtigt worden sei, liesse mich fragen wann ich zu sprechen waere. Ich hielt es für das einfachste sogleich mich in Wibels Wohnung zu begeben und erfuhr da folgendes: Die bisherige botanische Stelle soll zu einer untergeordneten gemacht werden. Dagegen eine Hauptstelle für Anatomie, vergleichende Anatomie und Zoologie, so dass die Anatomie die bisher in wechselnden Haenden war, in eine andere Stellung kaeme. Hauptsaechlich sei es darum zu thun das bisher fast ganz unbenützte Material, sowohl menschliches als auch thierisches, gehörig zu verwerthen, und dies habe ihn / Wiebel / veranlaßt auf der Schaffung einer neuen Stelle, deren Bestätigung beim Scholarchate u. Senate durchgehen werde zu bestehen. Er wünschte nun zu wissen ob ich geneigt sei die Stelle anzunehmen, wenn || die Sache zum Austrag kommen würde, und schilderte mir die Verhältniße in dena günstigsten Farben. Der wahrhaft kolossale Reichthum zootomischen Materials hatte mir so sehr imponirt dass ich fast ohne weitere Ueberlegung zugesagt hätte. Ich dachte aber gar bald an manches andere und schied mit der Aeusserung mir die Sache erst in reifere Ueberlegung zu ziehen. Wibel sagte mir dass er mir schreiben wolle und bat mich für den Fall dass ich etwa die Stelle nicht annähme, ihm b andere zu nennen. Da sind Sie natürlich der einzige. Vergessen will ich übrigens nicht, zu bemerken dass ich Wiebel ausdrücklich sagte, dass ich mich auf keinen Fall um die Stelle „bewerben“ würde, und dass ich, falls jenes nothwendig waere, von vorne herein verzichtete. So stehen also die Sachen deren Entwickelung Sie getrost abwarten können. Etwas wird jedenfalls für Sie herauskommen.

Was ich von der Hamburger Stelle, deren Verhältniße ich nun etwas näher kenne, mir denke will ich hier nicht auseinandersetzen. Das Material ist zum Erdrücken reich, und ich glaube dass für Wirbelthier-Anatomie nur noch in London und Paris günstigere Umstaende bestehen. Wenn ich ihnen nun sage dass ich mich, seitdem ich hier die Anatomie übernahm, vorzugsweise für Wirbelthiere intereßire, so werden Sie begreifen wie mir jene Gelegenheit willkommen sein muß. Auch die anthropotomische Sammlung die ich jedoch nicht kenne, soll sehr gut sein. Was die verschiedenen Bewerber angeht, so wird Ihnen vielleicht einiges zu wissen interessant sein. Herr Leuckart der im vorigen Monate persönlich in Hamburg war metamorphosierte seine Bewerbung in eine Berufung, und hat mit || diesem Kunststücke eine Zulage von 600 fl in Giessen erzielt! Von einer „Berufung“ kann, wie jetzt die Sache liegt, ja gar nicht die Rede sein! Nun ist mir begreiflich geworden warum dieser Biedermann sich neuerdingsc verschiedenemale als Dr. med. aufspielte! – Blasius würde nur in Betracht kommen wenn gegen Wibels Vorschlag, die Anstalt für menschliche Anatomie in ihrem bisherigen Zustande bliebe. Nur für diesen Fall waere auch Möbius Bewerber. Was endlich Stannius angeht so scheint man zu wissen dass er mehr nach einem Ruheposten verlangt, doch besitzt er wie ich merkte die meisten persönlichen Connexionen.

Für diese meine Mittheilungen möchte ich mir nun noch die strengste Verschwiegenheit erbitten, sowie auch darüber was Bezold, den Sie wohl in Berlin treffen werden, Ihnen bezüglich meiner Intentionen sagen wird. Bei alledem bleiben Sie fest bei Ihrem Vorsatze bezüglich der Habilitation und fahren Sie fort an Radiolarien wie Spirularien fleissig zu arbeiten, zu deren guter Beendigung ich Ihnen d bestens Glück wünschen will.

Mit meinem Aufenthalte zu Helgoland bin ich vollkommen zufrieden. Das Wetter war zwar so schlecht als es nur irgend möglich war, und hat mir dadurch gerade e in dem das was ich vorzugsweise wollte, grosen Eintrag gethan, allein ich habe doch nie an Mangel an Material gelitten und in vielem mir bisher Fremden mich zu orientiren reiche Gelegenheit gehabt. Ich werde nun noch 2–3 Tage hier bleiben und dann nach Würzburg gehen, um dann erst meine Ferien zu beginnen. Vielleicht füge ich noch eine kleine Reise ins Gebirge zu um den ermüdenden Eindruck der Horizontalen der gerade 4 Wochen lang mich belaestigt || gründlich zu verwischen.

Nun leben Sie wohl und seien Sie vielmals gegrüßt von

Ihrem

Gegenbaur.

In Eile.

a eingef.: den; b gestr.: etwa; c eingef.: neuedings; d gestr.: von; e gestr.: für; eingefügt: in

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.09.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9914
ID
9914